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Rheingold...

oder die Gummitour.

Gestern abend blätterte ich in meinem Fundus um ein Bild zu suchen, daß ich heute einstellen könnte. Dabei fiel mit ein Foto unserer ersten Gourmettour in die Finger. Meine Kollegen und ich wir sprechen immer von Gummitour. Das ist einfacher als dieses französische Wort. Aber mal ehrlich, sieht das nicht armseelig aus? Nur ein klassischer Rheingoldwagen. Aber was will man machen, wenn die anderen Wagen in der Revision sind. Der Erhalt historischer Gegenstände erfordert nun mal seinen Tribut.

Einen Zug mit allen noch erhaltenen Rheingoldwagen zu fahren ist darum nicht ganz leicht. Einmal ist es mir aber gelungen, leider habe ich davon kein Foto. Die Fahrt war auch nicht besonders spektakulär, darum erzähle ich lieber von meiner ersten Begegnung mit dem Rheingold:

Heiha, heiha, Wallala hei. So oder ähnlich fängt bei Wagner die Oper Rheingold an. Drei Rheintöchter sollen da einen Schatz hüten. War es nun der Operntitel oder der sagenumwobene Nibelungenschatz - keine Ahnung wie der Luxuszug bei der Deutschen Reichsbahn zu diesem Namen kam. Fest steht jedenfalls, dass es für den Reisenden ein Vergnügen gewesen sein muss, beim Abendsonnenschein durch das Rheintal zu fahren, wenn die Wellen den Glanz der Sonne widerspiegeln. Selbst uns unromantischen, nüchtern, technisch denkenden Menschen ist diese Faszination nicht gleichgültig. Sogar die Deutsche Bundesbahn ließ über Jahre hinweg einen Zug mit dem Zauber dieses Namens über ihre Schienen fahren. Und welcher kleine Junge träumte zu Zeiten, als der Plandienst noch mit Dampfloks erbracht wurde, nicht davon, auf einer großrädrigen Schnellzuglok mit dem Rheingold unterwegs zu sein.

Aus, vorbei. Den Rheingold gibt es als planmäßig verkehrenden Zug nicht mehr. Einige Wagen des Reichsbahnzuges sind durch Eisenbahnfreunde vor der Verschrottung gerettet worden. Die Zeiten der Luxuszüge ist längst dahin. Dennoch der Name Rheingold lo(c)kt. Um so größer ist dann die Überraschung, wenn man völlig unerwartet im Dienstplan ”Sonderzug Rheingold” und bei der Rubrik Personal den eigenen Namen entdeckt. Wie ein wahrgewordenes Märchen erscheint die Situation. Jedes Lokpersonal wienert und poliert vor dem Einsatz seine Maschine. In einem solchen Fall wird mit Pflege nicht gespart.

Wie frisch aus dem Ei gepellt steht die P8 auf den Schienen und wartet auf die Abfahrt. Noch ist reichlich Zeit. Der Zug soll ohnehin erst ab Essen Hbf mit der P8 bespannt werden. Dreißig Minuten vor der planmäßigen Ankunft des Rheingold in Essen geht es los. An Gleis 9 stehen schon die Fotofans und belichten eifrig ihre Filme, als die P8 langsam vor dem Ls-Signal zum Stehen kommt. Alles wartet nun gespannt auf den Rheingold. Aber der hat etwa 5 Minuten Verspätung. Endlich werden die Weichen gestellt. Und dann kommt er auch schon um die Kurve.

Aber ach, welch enttäuschendes Bild bietet sich dem Betrachter. Eine BR 110 mit sechs Wagen, von denen zwar alle den Rhein in der goldenen Abendsonne gesehen haben, aber nur die letzten drei sind ”echte” Rheingoldwagen. Leider auch aus zwei unterschiedlichen Epochen. So fährt ein DB-Aussichtswagen vor zwei Reichsbahnwagen. Die ganze Freude ist im Keller. Aber was soll’s. Man muss ja nicht den ganzen Zug ablichten, die Dampflok mit zwei deutlich erkennbaren Uralt-Rheingoldwagen ist ja immerhin ein Motiv. So muss der Fotofan sich nur anders postieren.

Das Dampflokpersonal hat derweil ganz andere Gedanken. Mein Heizer bemüht sich um das richtige Feuer und guten Wasserstand. Ich rechne überschlägig schon die Tonnen und die Zuglänge aus. Beim Ranfahren an den Zug nur gut Sanden und vorsichtig beikommen. Mein Heizer kuppelt an und die E-Lok am anderen Ende fährt weg. Bremsprobe. Mit der Meldung ”Bremse in Ordnung” erhalte ich den Bremszettel und die Wagenliste. Nicht schlecht geschätzt, es sind 284 Tonnen, 161 Meter und 84 Bremshundertstel. Für die P8 eine lösbare Aufgabe. Das Sicherheitsventil beginnt zu säuseln. Der Fahrdienstleiter könnte jetzt die Ausfahrt ziehen (Geht nicht, denn in der Spurplantechnik kann er sie nur stellen). Das Säuseln geht allmählich in ein Zischen über. Wo bleibt die Ausfahrt? Hat der Zugführer den 80719 nicht fertiggemeldet? Das Zischen wird lauter. Noch immer keine Ausfahrt. Schläft der da oben im Turm? Na endlich, Ausfahrt mit 40 km/h. Der Zugführer gibt den Abfahrauftrag.

Mit Macht stemmt sich die P8 in die Stangen. Als wollte der Rheingold nicht ins Ruhrgebiet, machen die Wagen der Lok das Leben schwer. Der Zug ist kaum ins Rollen zu bekommen. Aber das ”Mädchen für alles” schafft die rund dreihundert Tonnen. Noch steigt die Strecke an, so dass die vorgeschriebenen 40 km/h auch nicht überschritten werden können. Aber nach dem Weichenbereich kommt der Zug ins Laufen. Mit dreihundert Tonnen am Haken rennt die P8 von der Ruhr zur Emscher. Dem Betrachter bietet sich ein eindrucksvolles Bild, sei es drinnen im Zug oder außen an der Strecke. Die Fahrgäste schauen aus dem Fenster, und so mancher Passant schaut sich wegen der ungewöhnlichen Geräusche um.

Nach gut 40 Minuten ist die Fahrt zu Ende, und der Zug ist im Bahnhof der Zeche Zollverein angekommen. Die Fahrgäste werden mit Blasmusik empfangen. Hier ist nicht Bayreuth, darum spielt Kapelle das Steigerlied und nicht Wagner. Vereinzelte Fahrgäste gehen noch zur Dampflok für das Erinnerungsfoto. So auch drei bildhübsche Mädels. Vielleicht waren es ja doch die Rheintöchter. Wallala hei.

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