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Gerolstein 1999

Gerolstein 1999

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Gerolstein 1999

Scan vom Papierbild, 1 mal geschärft.

Eine graue Suppe liegt über dem ehemaligen Bw Gerolstein. Es ist ganz schön schattig. Aber der heiße Kaffe und die frischen Brötchen lassen die Stimmung sofort steigen. Spätestens zum Mittag soll sich laut Wetterbericht der Nebel lichten und strahlender Sonnenschein das Regiment übernehmen. Noch während die P8 sich durch die nebelverhangenen Gleise den Weg bis an ihren Zug sucht, wird die Sicht schon klarer. Und pünktlich zur Abfahrtszeit hat sich der Nebel gänzlich verzogen. Nur mit planmäßiger Abfahrt ist nichts. Erst lässt der Fahrdienstleiter die 52.8 und die 94er mit ihren Zügen ab, bevor er das Ausfahrsignal für die RB 22932 stellt. Und das mit 13 Minuten plus. Der Heizer hat große Mühe den ”spitzen” Kessel zu bändigen. Der Wasserstand erreicht bedrohliche Dimensionen. Endlich kann es losgehen. Die Strecke bis Trier liegt durchweg im Gefälle, da kann man die Fahrzeiten problemlos halten und vielleicht ein paar Minuten gut machen. Leider führt der hohe Wasserstand ab und an zum Wasserreißen. Und wäre nicht der Lotse so gut mit seinen Erklärungen zur Stecke gewesen, bis Kyllburg hätten wir bestimmt 10 Minuten rausgeholt. Das aber nur, weil wir glatt an vier Haltepunkten durchgefahren wären. Die sind bei Rauchkammer voraus fahrender Lok so spät erkennbar, dass ein streckenunkundiger Lokführer, und das war ich zu dem Zeitpunkt, verraten und verkauft ist. Das Rausholen von Fahrzeit muss in den Wind geschrieben werden. Nur nicht mit weiterer Verspätung in Trier ankommen, ist jetzt das Ziel.

Die P8 läuft super. Einzig ein leichtes aber undefinierbares Klopfen auf der linken Seite trübt den Gesamteindruck. Und dieses Klopfen wird immer stärker und geht allmählich in ein Schlagen über. Eine Ursache ist nicht erkennbar. Hinter Kordel aber passiert’s. Mit einem Knall fliegen im Führerstand die Fetzen umher. Der Holzfußboden auf der Heizerseite wird durch irgend etwas in tausend Teile zersplittert. Aus voller Fahrt bremse ich den Zug zum Stehen. Vorsichtig wegen möglicher Züge im Gegengleis runter von der Lok und geschaut. Da haben wir die Bescherung: Unterhalb ihres Drehpunktes ist die Antriebsstange für die Zentralschmierung gerissen und hat, da sie jetzt frei beweglich war, das Durchführungsloch im Fußboden erheblich vergrößert. Eine Weiterfahrt ist nicht möglich. Zwar kann die Zentralschmierung von Hand bedient werden, aber ohne Gefahr für die Unversehrtheit seiner Knochen kommt der Heizer nicht an den Hebel. Der Antrieb muss abgebaut werden. Werkzeugkasten auspacken, Splintenzieher, Hammer und zwei 32er Schlüssel her, aber immer schön vorsichtig (Züge im Gegengleis) und ran an den Speck. Nach zehn Minuten kann die Fahrt fortgesetzt werden. Mit plus 23 in Trier anzukommen, das haben wir uns nicht träumen lassen. Aber was soll’s. 13 Minuten gingen nicht auf unser Konto. Nun ist guter Rat teuer, denn es steht noch die Rückleistung an. Die Zentralschmierung und gleichzeitig den Kessel bedienen, das geht nicht. Glücklicherweise ist die Möglichkeit Wasser zu fassen direkt neben einer Werkstatt. Das paßt prima. Während langsam (im wahrsten Sinne des Wortes, nur sechs Kubikmeter in der Stunde) das Wasser in den Tender fließt, geht der Heizer an die Demontage des defekten Antriebs. Fehlendes Werkzeug können wir uns in der Werkstatt ausleihen. Die Teile sind schnell abgebaut und die Ursache ist deutlich sichtbar. Ein alter Bruch in der Schweißnaht unterhalb des Drehpunktes der Antriebstange war der Auslöser. Der Drehpunkt liegt auf Höhe des Fußbodens. Deswegen konnte niemand den Bruch bemerken. Wie man Teile schweißtechnisch zusammenfügt, soll jetzt nicht erläutert werden. Jedenfalls, nach dem alles wieder zusammen gebaut war, und die Funktionsprobe erfolgreich verlief, sind im Tender 12 Kubikmeter mehr als vorher. Die Wendefahrt nach Konz steht auf dem Programm.

Über diese kleine Episode gibt es nichts zu berichten, außer dass meines Heizers Sorgenfalten immer tiefer werden und er regelmäßig von Hand den Antrieb der Zentralschmierung betätigt. Was ist los? Obgleich der Antrieb keine Macken mehr hat, bewegt sich das Antriebszahnrad des Michalk-Ölers nicht. Die Sperrklinke rutscht immer häufiger über die Zähne rüber, anstatt sich dort zu verhaken. In Trier sind noch gut zwei Stunden Zeit, um auch hier nach dem Rechten zu sehen. Mit viel Geduld und Spucke gelingt es, die Klinke auszubauen und, nachdem sie angeschliffen wurde, auch wieder einzubauen. Es ist doch schon erstaunlich, wie klobige Finger, die das Zugreifen an der Schaufel beherrschen, es fertig bringen mit Geräten, die einem Uhrmacher gut zu Gesichte stehen, solche Präzisionsarbeiten zu leisten. Das Sorgenkind ist nämlich ein Splint von einem Millimeter Durchmesser und zehn Millimetern Länge. Wenn der verloren geht, ist alles aus. Hatten wir bislang nicht gerade das Glück gepachtet, von nun an ist es uns aber hold.

Kaum sind wirmit der Reparatur fertig, kommt vom Stellwerk auch die Aufforderung an den Zug zu fahren. Bis jetzt verläuft alles pünktlich. Einzig der Zugführer sucht einen Vordruck für die Fahrplanabweichung wegen fehlender Bremshundertstel. Mit nur plus drei geht es los. RB 22944. Jetzt kann die P8 zeigen, dass sie die 218er nicht fürchten muss, sondern umgekehrt. Mit vierzig km/h geht es durch die Weichenstraßen. Endlich, das Signal Zs 3 mit der Kennziffer 10 leuchtet auf, und das bedeutet ab hier 100 km/h. Den Regler voll auf und die Steuerung auf 50 Hundertstel zurückgelegt.

Lauf Mädchen, lauf. Und wie sie läuft, der P8 braucht man das nicht zweimal sagen. Mein Heizer beherrscht den Kessel, der Zeiger des Manometers will nicht von der Zwölf abweichen, und bei dem Druck kann die Dampfmaschine stets mit voller Leistung laufen. Die Strecke bis Gerolstein liegt in ständiger Steigung, trotzdem wird die Verspätung langsam aber sicher immer kleiner. Nach jedem Halt zeigt das Lokpersonal und die Maschine was in ihnen steckt. So heiß wie die Feuerbüchse sind auch wir, die Schmach vom Vormittag zu tilgen. Und es gelingt. Nicht nur, dass wir es schaffen die Verspätung aufzuholen, wir sind auf den letzten neun Kilometern in der Lage noch eine Minute vor Plan Gerolstein zu erreichen.

Comments 10

  • IC524Rheinland 04/08/2012 21:05

    Super Aufnahme!:
    Die Eifel ist ja sehr bekannt dafür. Neulich gab ja die 03 155 dort den Geist auf und so musste die 52 8131 einspringen...als ich da war, war an der 03 der Kreuzkopf abgebaut. Mal sehen. Themawechsel-> P8-Gestern bzw heute ist die Posen 2455 ja unterwegs nach Gera.
    Viele Grüße
  • blind lense 24/06/2012 21:54

    Jawohl, so ist es. Es sind drei Lokomotiven Unsere P8, die 52.8 und am scheinbar gleichen Zug auch noch die 94. Der Zug wurde etwa in der Mitte geteilt und jeder Teil fuhr in eine andere Richung.
  • Hardy Köhler 24/06/2012 18:23

    Hallo Heinz,
    eine wunderbare Geschichte, fantastisch erzählt und auch noch mit Happy-End.
    Das Problem könnte darin bestehen, dass es aussieht als ob die 94er als Schublok eingesetzt ist, der Satz also heißen müsste "... die 52.8 und die 94er mit IHREM Zug ab, ..."
    Es könnte jedoch sein, dass beide in verschiedenen Richtungen Gerolstein verlassen, also wäre der Satz wie von dir geschrieben richtig.

    LG vom Niederrhein, Hardy
  • blind lense 24/06/2012 5:07

    Gestern beim Zwischenstop habe ich gemerkt, daß hier im Programm etwas schiefgelaufen ist. Die hier oben stehende Anmerkung war zunächst spurlos in den Weiten des Internetnirwanas verschwunden. Also auf die Schnelle noch mal neu schreiben, aber nicht mehr so ausführlich, die Zeit drängt ja. Später habe ich dann entdeckt, daß die obige Anmerkung wieder aufgetaucht ist und ich habe den "Schnelltext" gelöscht. Jetzt fällt mir auf, daß ich im Schnelltext eine Frage gestellt hatte, die ich natürlich auch entfernt hatte. Darum jetzt noch mal die Frage: Wie viele Lokomotiven sind im Bild zu sehen und was ist für mich das Problem bei dem Satz:

    "Erst lässt der Fahrdienstleiter die 52.8 und die 94er mit ihren Zügen ab, bevor er das Ausfahrsignal für die RB 22932 stellt."

    Ach ja, bin gleich schon wieder außer Haus. Diesmal in Sachen Eisenbahn. Die Strecke Duisburg - Bochum besteht 150 Jahre.
  • blind lense 23/06/2012 8:16

    Guten Morgen zusammen,

    wundert euch nicht, daß ich mal wieder kurz dran bin aber gestern im Einsatz, heute im Einsatz und morgen auch. Wobei nur morgen Eisenbahn auf dem Plan steht. Warum sollte es auch gemütlich zugehen, dann können die Rentner ja nie erzählen sie hätten keine Zeit. Ich hab das immer für 'ne dumme Redensart gehalten. Aber allmählich glaube ich selbst daran.

    Ja, habt herzlichen Dank für eure Anmerkungen. Aber manchmal spielt das Leben solche Streiche. Wenn man aber hinterher sagen kann, daß alles gut gelaufen ist und man alles in allem ein Erlebnis hatte, von dem man rückblickend sagen, das war d a s Eisenbahnereignis, dann ist alles was Mühe und Stress war, vergessen. So auch hier, die Rückfahrt war so fulminant, daß mein Heizer und ich noch heute davon schwärmen.
  • Dieter Jüngling 22/06/2012 13:21

    Eine feine Geschichte zum Thema "Feuer, Wasser Kohle".
    Passt zum Foto und erweckt den Wunsch nach "Mehr".
    Gruß D. J.
  • Michael PK 22/06/2012 13:18

    Ja der Text ist schon spannend und topt das Bild noch.So ist es wenn Eisenbahner aus dem Alltag erzählen,das geht über das knipsen.....Danke schön
  • Thomas Jüngling 22/06/2012 10:11

    Ich kann mich Bernd-Peter nur anschließen. Das Foto ist zwar für mich interessant, weil mich die mintgrünen Wagen an der P8 irgendwie irritieren, obwohl das Ganze der Beschreibung nach zu urteilen ein Regelzug ist, aber das wirkliche Highlight ist wirklich der Text. Bis eben war ich noch schlaftrunken, aber nach diesem Text bin ich hellwach und hab'ne geistige Reise hinter mir. Gut gemacht! Man ist sofort mittendrin und vom Geschehen gefesselt.

    Gruß Thomas

    (Edit...hab' 1999 im Titel übersehen, das mit der Irritation hat sich erledigt...)