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Würdig? - Ja, aber wer?  -  Eine Grenzerfahrung.

Würdig? - Ja, aber wer? - Eine Grenzerfahrung.

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Willi von Allmen


Premium (World), Zürich

Würdig? - Ja, aber wer? - Eine Grenzerfahrung.

Meine Reise nach Südindien (Kerala) im Nov. 2008 endete mit dieser Geschichte (letzter Nachmittag) :

Ich schlenderte durch Strassen und sah im Vorübergehen einen Mann im offenen Hauszugang Ordnung schaffen,
und er offenbar auch meine Kamera - denn sofort stellte er sich vor den Eingang ...

Klar ja, ich sollte bitte doch ein Bild machen.

Ich sah wohl ziemlich verdutzt aus:
Hier? - Ein Bild mit ihm vor diesem dunklen - er möge mir den Ausdruck bitte verzeihen - 'Loch'? (Hier etwas aufgehellt)
Seine Wohnung? Werkstatt? Gerümpelkammer?

Ich war sprachlos:
Da stand mir ein Mensch aus komplett anderen Lebensumständen gegenüber,
und er wünschte sich dass ich ihn vor seiner mir so fremden, unangenehm düsteren und sehr ärmlichen Welt fotografieren würde.

Ich versuchte mich mit dem Gedanken zu retten dass wir ja als Menschen eigentlich Gleiche sind.
Doch das half mir nicht. Meine Emotion über den Kontrast war zu stark und so schämte ich mich fast meiner Kamera wegen sowie darüber,
ihn vor diesem 'Erbärmlichen' zu fotografieren - und kämpfte nun auch noch gegen wässrige Augen.

Doch, vielleicht wollt er mir ja zeigen, wie gut er's hat, eine eigene Bleibe zu haben -
und er dafür vielleicht lange hart gearbeitet hat?

Natürlich hat er gestrahlt als ich im das Bild zeigte.
Habe ihm gedankt, mich verneigt, und bin sehr aufgewühlt weiter gegangen.

Dieses Erlebnis ist mir tief 'eingefahren'.
____________________

Gedanken im Nachhinein:
Schlicht, bescheiden und dabei völlig natürlich und ohne Brüstungs-Stolz sieht er aus; alles Zeichen von:
Der Mann lebte in WÜRDE !!!

Für ihn war es vermutlich selbstverständlich:
Er war es - klar doch - (selbst-)wert, fotografiert zu werden, seine Welt anderen zu zeigen.
Ich dagegen bin ihm durch meine Emotionen - Ausdruck meines inneren Wesens -
nicht gerecht geworden, letztlich unwürdig gewesen, blockiert durch meine Welt.

Dabei ist diese Grenzerfahrung vermutlich eine der noch leichteren Art, gemessen daran was man als 'ungeschützt' Einzelreisender erleben könnte.
(Ich war mit Gruppe und Guide unterwegs)

Comments 8

  • Beate Radziejewski 15/09/2017 21:18

    stecke noch etwas in der FC-Auszeit ... aber dieses Bild hat mich doch sehr gefesselt

    Deine Gedanken dazu kann ich gut nachvollziehen lieber Willi...( das wäre mir ohne den Abstand zu dem Menschen auch so gegangen)
    Als ich das Foto sah dachte ich spontan, dass dieser Mann stolz vor seinem Hab und Gut steht
    ich empfinde, dass er vor einem ordentlichen Umfeld stehend den Eindruck macht, alles "im Griff" zu haben.. sein offener Blick lässt vermuten, dass er Dir gerne das alles präsentiert und Dir vertraut hat...er wirkt recht zufrieden und entspannt
    Ihr seid Euch mit Respekt auf Augenhöhe begegnet ...für mein Empfinden eine schöne Situation ..
    bis demnächst wieder mehr ...
    LG Beate
  • claudine capello 13/09/2017 21:50

    una bella esperienza che racconti ....ma forse lui lo prende come un lavoro pagato se i turisti fanno foto ! povera gente fanno quello che possono per vivere! complimenti per tutto e per un racconto che ci dimostra quanto sei una persona sensibile! complimenti bel ritratto ! cl
    • Willi von Allmen 14/09/2017 9:25

      Mir gegenüber machte keine Anzeichen, Geld zu wünschen dafür. Ich konnte ihm ja auch kein gedrucktes Foto in die Hand geben. Seinem Nachträglichen Verhalten nach zu schliessen war klar dass er nicht mehr wollte als diesen Augenblick ...
      lg Willi
  • Andreas Pfanner 13/09/2017 19:55

    Ihr habt beide eine Grenze überschritten und seid aufeinander zugegangen, so darf Fotografie sein, so soll Reisen sein.
    Mein ganzer Respekt für die Aufnahme und deinen Text.
  • Rainboweyes 13/09/2017 18:17

    Ein schönes Foto mit einem Menschen, der offenbar Freude daran hatte fotografiert zu werden. Interessanter Begegnungsbericht dazu - Danke, dass Du das in so offener Weise mit uns teilst und zum neuen Nachdenken über ein altes, aber nie fertig gedachtes Thema anregst. Manchmal "stehlen" wir Bilder aus der Entfernung, manchmal stellen wir fest, dass die alte Frau in der tollen Tracht gar nicht fotografiert werden will - hier nicht. Hier nimmt ein Mensch die Gelegenheit wahr mit einem Fremden, der da seine Strasse entlang kommt, in Kontakt zu treten. Und zwar auf eine Weise, die keine verbale Sprache braucht, auf eine Weise, die er von den Fremden kennt. Die sieht man nämlich häufig beim Fotografieren. Und für die kurze Zeit des Interagierens, des Fotografierens wird der eine ein Teil der Welt des anderen. Der Fremde kommt zu mir, das ist die Chance auf eine echte zwischenmenschliche Begegnung mit etwas, was sonst unerreichbar ist. Und genau das ist es: Eine kurze Begegnung von zwei Menschen, ein Wimpernschlag von "Du bist ein Mensch, ich bin ein Mensch", da ist für den Moment nichts Fremdes mehr. Und das Haus und der ganze materielle Hintergrund, würde ich annehmen, spielt dabei überhaupt keine Rolle...
    Tolles Foto!
    • Willi von Allmen 13/09/2017 20:50

      Vielen Dank, Iris, für deine detaillierte Beschreibung wie du so was siehst, verstehen kannst, vielleicht auch schon ähnlich erlebt hast. Muss sagen, diese Sicht, diese völlig natürliche menschliche Ebenbürtigkeit innerhalb dieser einfachen schlichten Begegnung "da ist im Moment nichts Fremdes mehr", das hat mir sehr gefallen und mich beeindruckt. Ja, so habe ich das noch nicht gesehen gespürt - und wäre doch so selbst-verständlich ...
      Danke!
      Willi
  • Heribert Fischer 13/09/2017 16:40

    eine nachhaltige Begegnung und ein Text, der einem das Wort Demut wieder einmal nahebringt
  • B. Anton Werner 13/09/2017 16:03

    ... wir sehen Millionen denen es vermeintlich besser als uns geht und erschrecken wenn wir zwischen den Milliarden denen es richtig besch... geht stecken. Das ist kein Makel, wir sind so.
    Allein, hast Du recht, kommt noch nie ausreichende Orts-/ Sprach-/ Verhaltenskenntnis dazu. Aber es macht ganz schnell höflich und bescheiden. Mich jedenfalls immer.
    VG, Anton