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Dirk Hofmann


Premium (World), Eitorf

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Vorheriges Bild:

... and I'm on heroin ...
... and I'm on heroin ...
Dirk Hofmann


Man verliert keine Zeit ... Mit fast fiebrigen Augen, die jetzt nicht eines gewissen Blitzens entbehren, befreit Deryll ein kleines Bällchen Heroin aus seiner Staniolumhüllung.

Gedankenverloren, in keinster Weise wirklich bei mir, redet Deryll ein wenig vom ständigen Kampf um das Geld zur Drogenbeschaffung. „Natürlich .... wir bekommen schon einiges an Geld auf der Straße zusammen ... Was meinst Du Beanhead – 60 oder 80 Dollar werden es jeden Tag schon sein, oder?“ Der Mexikaner brummt zustimmend. „Aber ein Schuß kostet Dich 10 Dollar und dann bleibt nicht viel übrig für Zigaretten, Bier und Essen. (Diese Priorisierung der Bedürfnisse eines Obdachlosen höre ich nicht zum ersten Mal ... genau in dieser Reihenfolge.) Und Du mußt das Geld cash haben! Niemand gibt Dir Drogen auf Kredit!“

Ich beobachte Deryll während er spricht. Irgendwas ist anders, denke ich mir, doch dauert es einen Moment, bis ich erkenne was es ist: Der Mann hat Energie bekommen. Seine Haltung strafft sich, die Hände werden flinker im Umgang mit den Fixerutensilien.

Sorgfältig wird Stoff im Wert von 10 Dollar in Wasser aufgelöst. Wie einen Mörser benutzt Deryll den Kolben einer Einwegspritze im Schraubverschluss einer Bierflasche. Nachdem das Heroin gänzlich aufgelöst ist, wird es über einem Feuerzeug erwärmt. Der Fetzen eines Zigarettenfilters wird hineingeworfen. „Damit halten wir den Dreck aus der Spritze ...!“

Deryll ist inzwischen bei voller Energie angekommen – seine Bewegungen werden immer fließender. Von Zittern keine Spur mehr – das sieht alles sehr konzentriert aus. Mit einem kurzen Blick stelle ich fest, daß Guerdo sich genauso weit in den Vorbereitungen befindet.

Spritzen werden aufgezogen. Ein kurzes Fingerschnippen gegen den Zylinder der Spritzte treibt Luft nach oben. Der Kolben wird sehr vorsichtig gedrückt, um nur ja keinen Tropfen der kostbaren Flüssigkeit zu verlieren. Aufmerksamer Kontrollblick – ja, alles so wie es sein soll.

Ich konzentriere mich auf Deryll, der sich gerade die Hose aufmacht und seine Hüfte freilegt. Ich lerne wieder etwas hinzu: Man kann also auch in die Leiste spritzen ...

Deryll ist jetzt ganz alleine. Man merkt, wie der Raum um ihn herum in die Nichtigkeit einer um Galaxien entfernten Welt verschwindet und nur noch der nächste Augenblick, das Eindringen der Nadel in die Haut für ihn zählt. Eine unendlich lange Sekunde schwebt die Nadel über der designierten Einstichstelle, bis sie endlich ihr Ziel findet und ein ganzes Stück von ihr im Körper meines Bekannten verschwindet.

Gebannt starre ich auf den Daumen, der den Kolben mit beständigem und nicht aufzuhaltendem Druck nach unten schiebt. Ohne es zu wollen setze ich die Situation in meinem Kopf in dramatische Filmszenen um und realisiere im gleichen Augenblick, daß ich genau diese Szenen – jedenfalls Einzelbilder daraus – zu gerne fotografisch festhalten würde. Und genauso stelle ich fest: Ich kann es nicht ... Bin noch nicht soweit, daß ich in dieser Sekunde in den „heiligen Moment“ Derylls eindringen will und mit der Kamera so nahe wie möglich an die Spritze (und damit an die offene Hose des Mannes) herangehen kann. Vielleicht bei einem späteren Treffen, aber heute geht es einfach noch nicht ...

(Anmerkung: Heute (13.10.03), als ich diesen Text schreibe, bin ich irgendwie stolz darauf so gehandelt zu haben – auch wenn mir klar ist, daß diese Aufnahmen vermutlich die Krönung der Serie dargestellt hätten!)

Ich „erwache“ aus meinen Gedanken und der Moment ist vorbei. Deryll macht sich bereits wieder den Gürtel zu und Guerdo ist schon dabei, sein Besteck zu reinigen. Das Wasser, mit dem die Spritze gespült wurde, die gleichzeitig zur Reinigung des Schraubverschlusses. Ich beobachte, wie Guerdo den Rest des Zigarettenfilters noch ein paar mal in der Flüssigkeit ausdrückt und dann die Spritze erneut mit dem Gemisch aufzieht. Blitzschnell (vielleicht kommt es mir auch nur so vor, weil ich von der Bewegung überrascht bin) führt er sich die Spritze in ein Nasenloch und schießt sich das Zeug direkt in die Schleimhaut.

Deryll bemerkt meine Verwunderung und erklärt: „Das war ein Nose-Hit .... wirkt auch in dieser schwachen Konzentration .... wir zahlen einfach zu viel für das Zeug, um es wegzuwerfen!“

Er sitzt jetzt gelassen hinter dem Tisch und macht sich eine Zigarette an. Wieder trenne ich mich von einem Klischee: Ich hatte felsenfest erwartet, daß die beiden unmittelbar nach dem Schuß in einen komatösen Zustand verfallen und mindestens eine Stunde nicht ansprechbar gewesen wären. Nichts davon zu sehen ... Im Gegenteil: Deryll raucht mit einem vergnügten Gesichtsausdruck seine Zigarette und macht sich vermutlich in seinen Gedanken ein wenig über meine Naivität lustig ... jedenfalls sieht er mich (jetzt mit viel klareren Augen) an und lächelt in sich hinein.

Guerdo geht es ähnlich gut. Und wie aus heiterem Himmel fragt er mich, was ich nochmal genau mit den Bildern mache und was ich von den Menschen, mit denen ich mich unterhalte wissen will ....

Ich sitze zwei völlig anderen Menschen gegenüber, als noch vor wenigen Minuten ....

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Fortsetzung folgt

Nächstes Bild der Serie:
... flying ...
... flying ...
Dirk Hofmann

Comments 32

  • Chris Waikiki 20/10/2003 12:58

    Ja, Dirk mach endlich deinen eigenen Blog auf ... die Scharen werden dir zuströmen :-)))
  • João Carlos Espinho 19/10/2003 21:41

    :))))
    mach doch dein blog!
  • Dirk Hofmann 19/10/2003 20:30

    ok ... für heute bin ich wieder mal der linguistische trottel ... :-)) ... einer mußte es ja sein ... hehe

    aber was nutzt mir der beste deutsche blog, wenn der portugiese ihn nicht lesen kann ... :-(
  • João Carlos Espinho 19/10/2003 19:19

    @dirk - du machst ein blog wie du willst. deutsch, englisch und auch PORTUGIESISCH!!!! (spanisch ist bei unseren nachbaren)....
    Und du schreibst was du willst. Und, und, und....
  • Dirk Hofmann 19/10/2003 18:52

    na prima joao ... mein spanisch ist noch viel schlechter als mein englisch .... gibt es keine deutschen blogs??? grummel .... ;-))
  • João Carlos Espinho 19/10/2003 12:28

    @dirk - ein blog ist das:
    http://pracadarepublica.blogspot.com

    und ich glaube schon du solltest alles in einem blog schreiben.

    lg
    joão
  • Marita K. 17/10/2003 15:59

    Hi Dirk,

    dieses Bild und seine Geschichte hat mich noch beim Einschlafen gestern beschäftigt.. du hast eine sehr sensible und tolle Art mit Menschen jeglicher Couleur umzugehen - das gefällt mir an dir :-)))

    LG Marita
  • Dirk Hofmann 16/10/2003 7:40

    jesses ... ist alles in englisch ... in dieser sprache fürchte ich mich nur bedingt ausdrücken zu können .... auf gar keinen fall kann ich dort so schreiben, wie hier .... werde euch also weiter zu"bloggen" müssen ... sorry

    aber einen tiefen blick auf diese seite werde ich mir in kürze schon genehmigen ... ;-))
  • Chris Waikiki 16/10/2003 7:35

    Dirk guckst du hier -> http://new.blogger.com
  • Dirk Hofmann 16/10/2003 3:45

    danke euch ... :-)

    @marco ... yep ...
    @markus ... wer würde es drucken? ... mal sehen ... und eine internetseite habe ich ja hier irgendwie ... ;-)
    @chris: was in aller welt ist ein blog???
    @marc: danke ... :-)
  • Marc Schlueter 15/10/2003 16:04

    Gutes Bild, sehr gut erzählte Story!
    Gruß, Marc
  • Chris Waikiki 15/10/2003 8:25

    Ich find eher, Dirk sollte einen Blog aufmachen ...
  • Markus Hoffmann 15/10/2003 7:49

    Hallo Dirk,

    ich bin ehrlich gesagt der Meinung,dass Deine "Arbeiten" weit über das hinausgehen, was die FC bietet.
    Hast Du schonmal darüber nachgedacht, mit diesen Serien an Zeitungen heranzutreten oder eine eigene Internetseite zu machen?

    Beeindruckter Gruß,
    Markus
  • Birdies Landscapes 15/10/2003 1:20

    krass und sehr gut. hatte mir ja damals schon gedanken gemacht, ob das gut geht...
    klasse diese dokumentation und zeigt auch seiten, die viele nicht sehen oder auch sehen wollen.
    lg birdy
  • Dirk Hofmann 14/10/2003 23:32

    danke euch :-)

    @mike:
    absolut richtig, was du sagst! eine verharmlosung ist keineswegs angestrebt - allerdings versuche ich in meinen berichten ausschließlich meine eigenen gefühle in bezug auf meine eigene person durchdringen zu lassen, nicht meine meinung und emotion über die personen oder das was sie tun.
    ich habe es den beiden deutlich zu verstehen gegeben, daß ich in keinster weise etwas von harten drogen halte, ich mir aber nicht anmaße ihr verhalten zu richten.
    sie nahmen diese einstellung sehr dankbar auf, denke ich ....

    der weitere verlauf der serie wird auch die schattenseiten des ganzen anleuchten ...