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Das Image-Problem

Das Image-Problem

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Oliver Schiebek


Premium (World), Düsseldorf

Das Image-Problem

"Was ist los mit Euch?", fragte ich die kleinen Kaninchen. "Ihr seht so traurig aus!"
"Die Menschen finden uns immer viel zu niedlich“, seufzte eines der drei.
„Entweder heißt es „Ach wie süß“ oder auch „Omma, tu mal mit dat Fiona-Lynn und die Kaninchen n´ schönet Fotto machen!“ Dabei sind wir gar nicht so putzig, wie wir aussehen."
"Ja genau", bestätigte das Zweite, "Wir sind richtig harte Hunde! Wir saufen, wir rauchen und wir prügeln uns, genau wie ihr Menschen!"
"Und wir haben szogar einen Szwingerclub unten im Bau, willszte mal szehen?" lispelte das Dritte.
„Ja, sehr gerne!“ Ich überlegte schon, ob ich diese Führung als berufliche Fortbildung von der Steuer absetzen könnte.
Die Kaninchen wiesen mich an, ihnen zu folgen. Zum Glück war ich gerade auf Diät und konnte so prima hinter den Dreien in den Bau schlüpfen. Dort zweigten verschiedene Gänge ab. Links ging es zur Krankenstation, rechts zur Schule. Auch einen Gemüsemarkt gab es.
„Wir leben hier unten völlig autark“, erklärten sie mir.
Aus der Tiefe des Baus dröhnte Rockmusik.
„Hey, das ist "Seperate Ways" von Journey!“ erkannte ich freudig.
„Wir lieben die Achtziger!“ sagten die Kaninchen und zusammen grölten wir den Refrain:
"Someday love will find you...", während wir immer tiefer in den Bau hinabstiegen.
Die Musik wurde lauter, als wir uns der Quelle näherten: Ein Tresen, zwei Billard-Tische, ein Flipper und eine fette Jukebox befanden sich in einer der größeren Erdhöhlen.
Mehrere zwielichtige tätowierte Karnickel versammelten sich dort und hatten offensichtlich Spaß.
„Eine Rocker-Kneipe!“, sagte ich verblüfft. Mein Bild vom putzigen Mümmelmann bekam erste Risse.
„Ne´ Runde Armdrücken? Zehn Euro Einsatz!“ forderte mich ein Kaninchen mit Zigarrenstummel im Mund heraus. Ich lehnte dankend ab, denn ich war mir sicher, dass ich verloren hätte.
„Aber wo ist denn nun euer Swinger-Club?“ fragte ich neugierig.
Die Kaninchen zeigten auf einen schmuddeligen Durchgang, den ich übersehen hatte. Darüber stand in neon-roter Leuchtschrift: „The pink bunny“. Ich atmete tief durch und trat ein.
Nun bin ich ja ein gestandener Journalist und habe viel gesehen, aber was sich hier offenbarte, ist kaum in Worte zu fassen:
Unzählige Kaninchen, teilweise in Lack und Leder, mit und ohne Fell gaben sich der Wollust hin. Ein Sodom und Gomorra, wenn nicht gar ein Sündenpfuhl der Ausschweifung und des lasterhaften Gebahrens, ein ekstatisch rudeliges Gerammel, wahrlich ein orgiastisch höggelndes Gewusel - musste ich ganz unverblümt feststellen.
Ich war schockiert und mir war sofort klar, warum sich Kaninchen so rasant vermehren.
„Danke, ich habe genug gesehen!“ sagte ich und hoffte inständig, dass mich diese traumatischen Bilder nicht bis in meine Albträume verfolgten. Ich verabschiedete mich höflich, muss aber an dieser Stelle ausdrücklich feststellen:
Kaninchen sind nicht niedlich!!

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