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Tauwetter ?

Wir hatten den Nikolaus in Altenbeken wohlbehalten an den Bahnsteig gebracht und harrten der Dinge, die nun folgen sollten. Altenbeken ist eine Eisenbahnerstadt und kaum einer, der da wohnt, hat nichts mit der Eisenbahn zu tun. So war es nicht verwunderlich, dass sich die Leute um die Dampflok scharrten. Allenthalben fiel die Bemerkung: ”Weißt du noch, damals..” Unter den Zuschauern war wohl so mancher ehemalige Lokführer oder Heizer. Ein älterer Mann war schier fassungslos: ”Eine P8, das es das noch gibt.” Und mit fester Stimme fügte er hinzu: ”Die hat mich nie im Stich gelassen!” Er wird wissen, wovon er sprach.

Gern hätten wir noch mit den alten Hasen geplaudert und uns manchen Tipp geben lassen, aber der Zug musste das Gleis räumen und unser Lotse erschien.

Dafür, dass die Einfahrt des Nikolaus ein voller Erfolg war, sollten wir anschließend in der Kantine beim großen Abendessen mit Gänsebraten und Klößen teilnehmen. So etwas lässt man sich ja nicht zweimal sagen.

Nach dem Abstellen der Wagen fuhr die Dampflok ins ehemalige Bw. Es ist doch einfacher, die Drehscheibe zu nutzen, als durchs Gleisdreieck zu fahren. Zu dem ist im Bw kein Fahrdraht, so dass die Kohlen gefahrlos vorgezogen werden können. Wieder am gleichen Hydrant wie bei der Ankunft wurde die Lok abgestellt. Die Tenderlaternen wurden für die Rückfahrt rot abgeblendet und mein Heizer legte ein Ringfeuer an, nachdem er den Wasserstand noch erhöht hatte. Der Regler wurde von mir abgeschlossen und der Vorhang zugezogen, dann gingen wir beide zur Betriebsküche.

Bis das Abendessen kommen sollte, war noch reichlich Zeit. Zuerst mal ‘ne Tasse starken schwarzen Kaffee. In Nullkommanix standen bei uns Schwarzen neugierige Frager. Woher denn die Lok käme, ob es noch mehr davon gäbe, wie schnell könne die denn fahren? Geduldig wurde Frage um Frage beantwortet. Noch eine Tasse Kaffee. Die konnte man gut gebrauchen. Rückfahrt war sowie so erst gegen 21 Uhr und noch was. Da wird die Nacht noch lang. Es hatte noch immer nicht aufgehört zu schneien.

Jetzt wurde der Tisch gedeckt, und wir suchten uns einen Platz in der Ecke. Auch der Lotse gesellte sich dazu. Man sprach über Gott und die Welt bis der Lotse fragte: ”Ihr seid doch ab Dortmund kundig?” Als die Frage dahingehend beantwortet wurde, dass wir überhaupt nicht kundig sind, fiel dem Lotsen beinah die Tasse zu Boden. Eine Welt brach für ihn zusammen. Er hatte gehofft, ab Dortmund einen Interregio zu bekommen, um noch am selben Abend wieder zu Hause zu sein. Sonst muss er auswärts übernachten. Da saß er schön in der Tinte. Es gab nur eine Lösung: Vor Plan abfahren, und zwar jetzt. Schnell die Zustimmung eingeholt, Feuer aufgebaut und Ausfahrt.

Adieu, du schöner Gänsebraten. Zwar hatte die Betriebsküche als Ersatz Kotelett, Mettwürstchen und Kartoffelsalat spendiert, aber was ist das gegen Gänsebraten? Was soll’s. Ab Paderborn ging der Schneefall in Regen über. Da war die Stimmung ohnehin im Eimer, und keiner dachte mehr an Gänsebraten.



Noch ein Wort in eigener Sache. Wann soll man aufhören ? Wenn es amschönsten ist oder wenn man merkt, daß etwas nicht mehr lohnt? Nun ich werde mich nach dem Urlaub entscheiden.

Na dann bis später.

Comments 4

  • makna 07/08/2014 8:42


    "Ne jut jebratne Jans is wat janz besonders jutes," sagt der Berliner, aber es ist eben ein Festtagsbraten. Also an Nikolaus vielleicht verfrüht ...

    ... so wie "einfach Aufhören" wohl auch verfrüht wäre, denn es gibt doch immer noch etwas, was man gern zum Besten gibt, und hier hast Du dazu oft ein teils fachkundiges, teils wißbegieriges Publikum, das Deine Schilderungen sehr schätzt !!!

    So wie auch diese Begebenheit - es ist auch sehr zu loben, dass ihr dem Lotsen zuliebe auf den Braten verzichtet hattet (verhungern mußtet ihr ja nicht) !

    Die Fragen und Kommentare der P 8-Bewunderer in der Eisenbahnerstadt Altenbeken kann ich mir lebhaft vorstellen - der Ausspruch "Die hat mich nie im Stich gelassen !" ist für mich ein Wohlklang, den Du hier sehr schön zum Besten gibst ... eben authentisch. Der würde wohl von jedem der "Alten" unterstrichen, die einst eine davon in ihrem Dienstplan hatten ... ich kann mich noch an Crailsheimer Personale Ende der 60er Jahre erinnern, die angesichts ihrer Heißdampfregler-23er (später bekamen sie dann ja auch die zuverlässigeren Loks dieser Baureihe aus den ersten Serien mit Naßdampfregler) wehmütig ihrer P 8 gedachten !

    Zum Ort des Geschehens: Altenbeken !!! Das war einst eine "Pilgerstätte", so wie früher auch die weitere Eisenbahnerstadt Bebra oder die Schiefe Ebene, Saalfeld, Aue oder Nossen. Ich habe Altenbeken zur "Pilgerzeit" nicht genossen, nur viel früher als Kind beim Umsteigen von Kassel Richtung Höxter, und bin nun erst sehr viel später wieder einmal vorbei gekommen:

    Weiter Blick aufs Bw Altenbeken
    Weiter Blick aufs Bw Altenbeken
    makna
    Aber mit Deiner Schilderung (auch bei dem zuvor geposteten Motiv) habe ich mir wieder alles lebhaft vorstellen können ! Danke für die Inspiration !

    BG Manfred
  • BR 45 06/08/2014 17:39

    Ich tippe eher auf "Tauwetter", alles andere wär Quatsch
    Gehen Dir die Geschichten aus?
    Das wäre Schade denn diese hier ist wieder vom Feinsten!
    Über den entgangenen Gänsebraten hät ich mich aber auch geärgert!
    Grüsse Andy
  • Steffen°Conrad 06/08/2014 13:24

    Erstens kommts meist anders als man zweitens...
    ich hätte Kotlett und Kartoffelsalat dem Geier aber vorgezogen;-))
    vgconni
  • Dieter Jüngling 06/08/2014 9:38

    "Tauwetter" oder "Sauwetter"?
    Egal. Die Geschichte ist wieder vom Feinsten.
    Gruß D. J.