Maschinensetzer


Premium (Pro), Niederkassel

Buchdruckerei

Nachdem ich 2007/2008 meine erste Linotype-Setzmaschine Model 5 n.K. (neue Konstruktion), Baujahr 1924, komplett restauriert hatte,

Das achte Weltwunder!
Das achte Weltwunder!
Maschinensetzer

habe ich nun anläßlich des "Tags der Druckkunst" in NRW am 15. März 2020 auch meine zweite Linotype, ein Modell 5c, Baujahr 1952, überarbeitet und wieder in Betrieb genommen… – und natürlich den Heidelberger Tiegel, anfang der 1970er gebaut. Mein letzter Buchdrucker ist vor 15 Jahren in Rente gegangen, und seitdem dämmerte der Tiegel zugedeckt vor sich hin. Links im Bild sind auch noch Teile des Arbeitsplatzes der Handsetzerei zu erkennen.

Während die Linotype nach gut 100 Stunden Reinigungs- und Justierarbeit auf Anhieb wieder einwandfrei lief, machte der Tiegel Probleme: Zuerst baute die Zentralschmierung keinen Druck mehr auf und ich habe sie mit Reinigungsbenzin gespült, um durch verharztes Öl evtl. verklebte Ventile zu lösen. Wieder hunderte Hübe mit dem Hebel der Zentralschmierung ohne Druck. Also Benzin 'raus und zwei Liter Diesel hineingegossen und über Nacht stehen gelassen (mit Benzin macht man das besser nicht, da Dichtungen angelöst werden könnten). Am nächsten Tag wieder hunderte Hübe mit dem Schmierhebel und… auf einmal war Gegendruck da! Glück gehabt, der Auseinanderbau der Zentralschmierung wäre ein erheblicher Montageaufwand gewesen. Dann den Diesel durch gutes Maschinenöl ersetzt und die Maschine ordentlich abgeschmiert und nochmals gereinigt, und prompt lief sie sehr schön ruhig.

Nun sollte der erste Probedruck erfolgen, eine schöne Seite Maschinensatz, doch bei einwandfreiem Aufzug und Normalstellung der Maschine kam kein bischen Druck, geschweige denn Farbe auf dem Papier an. Ich hatte mich schon gewundert, warum der letzte Drucker den Druck auf +4 gestellt hatte und zusätzlich die Nutform mit dickem Karton unterlegt war… Ich hatte daher einen Verdacht, nämlich dass die Überdrucksicherheitseinrichtung des Tiegels, der Abscherring, gebrochen ist. Um das zu klären, müssen an der Rückseite des Tiegels fünf 24er Muttern und eine 27er Mutter gelöst werden. Die 24er Muttern saßen aber so fest, dass ich für meine 3/4" Kraftratsche eine 24er Schlagschraubernuss besorgen musste und mit einem 1,5 Meter langem Rohr als Verlängerung lösten sich die Muttern mit einem lauten Knall. Der Maulschlüssel des ersten Versuchs liegt aufgebogen in der Tonne.

Wie ich den zerbrochenen Abscherring aus der Maschine bekommen habe ist noch eine Geschichte, die hier aber endgültig zu lang wird. Jedenfalls hatte ich heute den zerbröselten Ring endlich in der Hand und meine Vermutung war bestätigt: der Drucker hatte mir eine kaputte Maschine hinterlassen. Der Ring ist nun bestellt und der Einbau ist sicher schnell gemacht.

Der Tag der Druckkunst war sowieso kurz vorher am 13. März wegen Corona unter behördlicher Anordnung verboten worden…

Viele Grüße
Thomas

Comments 6

  • R.M.Stimpfi 03/11/2020 19:47

    Oh ein Tiegel! Sehr schön! Habe ich als Stift dran gedruckt! Linotype hat mein Vater dran gesetzt! Dann Diatype, Diatronic, Berthold ACS und dann Mac.
    Pure Geschichte
  • † -TKO- 30/03/2020 10:11

    Unverwüstliche Technik die begeistert .
    Da konnte schon mal aus Versehen ein "Block" durchgehen...die hat nicht mal gezuckt ...;-)
  • makna 20/03/2020 21:27

    Es gibt zwei Gerüche, die mir unvergeßlich sind und nach denen es bei mir auch weiter
    eine gewisse "olfaktorische Sehnsucht" gibt:

    = Das Gemisch von Dampf und Öl im Schuppen eines aktiven großen Dampflok-Bws !

    = Die Geruchsvermischung von heißem Blei, Öl und Druckerschwärze ... :-)

    ... und Dein Motiv ebenso wie Deine Schilderung lassen mich da besinnlich
    sozusagen "tief einatmen" ... das Kopfkino läuft an ... :-)

    ... so dass ich Dir sehr für diese gesamte bildliche und textliche Darstellung danke !!!

    Irgendwann, hoffe ich, kommt auch noch die Geschichte, wie Du für den Tiegel in der
    heutigen Zeit noch einen passenden Abscherring hast auftreiben können: Respekt !!!

    In jedem Fall, wenn es auch derzeit nicht öffentlich vorgeführt werden konnte, wird
    der Tag kommen, an dem staunende offenstehende Münder Geruch und Geräusch
    (ja - das typische Geräusch der alten Heidelberger vergaß ich bisher zu erwähnen)
    mit Nasen und Ohren in sich hineinziehen und der Bewunderung voll sein werden !

    BG Manfred
  • Klaus Kieslich 19/03/2020 20:58

    Du scheinst ja ein Museum zuhaben und ja,die Hintergrundinfo war für mich als Fachfremden sehr interessant
    Gruß Klaus
  • Haidhauser 19/03/2020 19:51

    Von Druckern verstehe ich leider gar nichts. Die Aufnahme indes ist ausgezeichnet!!
    LG Bernhard