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Zu Besuch im vergehenden Friseurladen

Zu Besuch im vergehenden Friseurladen

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Zu Besuch im vergehenden Friseurladen

Ortsbilder verschwinden, Menschen verschwinden. Selten verändern sich die Gesichter von Ortsbildern zum Positiven. Meist spielen finanzielle Interessen eine Rolle bei Neubauten. Auch in Blankenburg/Ahausen. In dieser losen Bilderfolge soll an Menschen und besondere Ereignisse erinnert werden.

Der Kneipenfriseur

Es war sein fester Vorsatz, sich nie zu einem Gast zu setzen und auch zu trinken. Ein Gastwirt muss seine Arbeit vom Spaß der Gäste trennen, sonst geht manches schief. Nicht nur Gastwirt war er, auch Friseur des Ortes. Dort, in seinem Frisiersalon, mussten die Kunden immer sitzen. Es ging gar nicht anders. Wie sollte er sitzen und die zu Frisierenden stehen? Also, dass das schon einmal klar ist. Er hatte es sich auf einen Zettel geschrieben, der hinter seinem privaten Frisierspiegel hing. In ganz kleiner Schrift: Bei der Arbeit muss man immer stehen, wenn man erfolgreich sein vill. Ja, er hatte das Wort will mit einem V geschrieben. Das erzählte man sich bei seiner Beerdigung vor sechs Jahren. Die Eingeweihten wussten: Er wollte nur stehen, damit keine Frau merkte, dass er ein Toupet trug. Und dann passierte es doch! Irma, die etwas benachteiligte Frau eines näheren Bekannten, hatte sich wieder einmal bei ihm als Friseur angemeldet. Schneiden, Dauerwelle und auch Färben, denn Irma hatte trotz ihrer 42 Jahre schon einige graue Haare. Das volle Programm also. Sie hielt auf ein gepflegtes Äußeres, was auch wichtig sei, wie viele Nachbarn sagten, denn Irma habe noch keinen Schönheitspreis bekommen. Das interessierte den Friseur nicht. Für ihn zählte jeder Kopf, denn jeder Kopf brachte Geld. Am liebsten waren ihm die Frauen. An denen konnte er lange seine Kunst beweisen. Obwohl er ein Dorffriseur war, hielten manche große Stücke auf ihn. Männer, deren Haare sich immer mehr verabschiedeten, fand er erstens menschlich nicht so interessant und zweitens finanziell. Männer schwiegen immer beim Haare-Schneiden oder erzählten ihre Witze über Schweine und Frauen, meist über fremde Frauen und eigene Schweine. Frauen waren anders. Sie sprachen über ihre Kinder oder lästerten über Nachbarn oder das Dorfleben. Natürlich nicht alle.
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