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Zeuge guter Beziehungen

Zeuge guter Beziehungen

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Patrick Rehn


Premium (World), Bebra-Lüdersdorf

Zeuge guter Beziehungen

Wir leben in verrückten Zeiten: Krisen schütteln diesen Planeten sowohl in Gesundheit, Natur wie Politik, dass es einem schwindelig werden kann. Eines der Themen, von denen am Jahresanfang noch viele sprachen - welches durch verschiedene andere Entwicklungen jedoch mittlerweile nahezu komplett aus der täglichen Berichterstattung verschwunden ist - ist der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Wie später einmal der Verkehr von Menschen und Waren geregelt werden soll, darüber streiten derzeit viele kluge Köpfe.

In Naumburg existiert jedoch ein Zeuge damaliger guter Beziehungen im Warenverkehr, dessen "Geburtsstunde" in eine "gemischte Zeit" fällt: 1953 ist der 2. Weltkrieg noch keine zehn Jahre her, in der damaligen Sowjetunion sitzen immer noch tausende ehemalige deutsche Soldaten in Kriegsgefangenschaft. Zudem sind die Narben, die Bomben und Angriffe in die Häuserzeilen geschlagen haben noch deutliche Zeugen hoher menschlicher Verluste und die Lebensmittelkarten wurden erst drei Jahre zuvor abgeschafft.

1953 ist allerdings auch eines der ersten Jahre des sogenannten Wirtschaftswunder, welches in Deutschland und vielen anderen Staaten zu einer Rehabilitierung der Lebensverhältnisse und dem berühmten "bisschen Wohlstand" beitragen sollte.

Für den Verkehr zwischen Großbritannien und Deutschland gibt die junge Deutsche Bundesbahn bei der Waggonfabrik Fuchs insgesamt 150 gedeckte Güterwagen in Auftrag, welche sich erheblich von ihren sonst im Bereich der Bundesrepublik eingesetzten "Brüdern und Schwestern" unterschieden: Damals dachte natürlich noch niemand an einen Eisenbahntunnel unter dem Ärmelkanal, so dass Güterwagen per Schiff vom Festland "zur Insel" transportiert wurden. Das kleinere englische Lichtraumprofil bedingten jedoch entsprechende Kompromisse bei der Größe dieser sogenannten Fährbootwagen, welche kleiner und schmaler ausfielen als jene Waggons die in Deutschland sonst eingesetzt wurden. Zudem bestand der Wagenkasten aus Kiefern- und Fichtenholz, für den Einsatz in England erhielten die Waggons neben einer Bremse vom Typ Hildebrand-Knorr wurde auch eine Saugluftbremse (Vakuumbremse) verbaut.

Eine weitere Besonderheit sind die beiden gegenläufigen großen Laderaumtüren, welche eine Ladeöffnung von bis zu vier Metern freigaben. Hierdurch war es möglich einen Waggon schneller zu be- und entladen, wodurch sich die Standzeiten der nur begrenzt verfügbaren Waggons reduzieren ließen.

Von den 150 gebauten Fahrzeugen wurden die letzten Exemplare Ende des vorigen Jahrtausends ausgemustert, einige wenige Waggons haben dabei ihren Weg zu Museumsbahnen gefunden. Im Bestand des Hessencourrier befindet sich einer dieser Waggons, welche zu Beginn als Gbmhs 51 firmierten und später als Gattung Hfrs 312 geführt wurden.

Aufnahmedatum: Sonntag, 29. Dezember 2019 - 14:09 Uhr

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