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KULTURGEWÄCHSHAUS BIRKENRIED (Es spielt RuthMariaRosselCello2021))

KULTURGEWÄCHSHAUS BIRKENRIED (Es spielt RuthMariaRosselCello2021))

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Johannes Zakouril


Premium (Pro), Neu-Ulm

KULTURGEWÄCHSHAUS BIRKENRIED (Es spielt RuthMariaRosselCello2021))

Das "Kulturgewächshaus Birkenried": eine private Kulturinitiative nahe Günzburg:
Fährt man in Bayerisch-Schwaben auf der Bundesstraße 16 von Günzburg nach Gundelfingen, dann stößt man in der Nähe einer Seenplatte auf einen großen Parkplatz. Was sich hinter einer dichten Buschreihe unmittelbar neben diesem Parkplatz verbirgt, wissen freilich nur wenige von denen, die hier eine kurze Rast einlegen. Dabei birgt der kleine Weiler Birkenried mit seinen sieben Häusern eine Besonderheit, wie man sie in dieser Art wohl kein zweites Mal findet. Eine Familie hat hier, von Freunden unterstützt, ein altes, 250 Quadratmeter großes Gewächshaus in mühevoller Kleinarbeit zu einem kulturellen Treffpunkt ausgebaut.

Die Familie Eber wohnt in diesem kleinen Dorf, das heute aus einer Blumengärtnerei und eben dem "Kulturgewächshaus" sowie einigen Wohngebäuden und einer kleinen Kapelle besteht. Das "Kulturgewächshaus Birkenried" bei Günzburg hat sich in den vergangenen Jahren und vor allem im zurückliegenden Sommer zu einem kulturellen Treffpunkt der ganz besonderen Art entwickelt.

Besonders deutlich wird das anlässlich einer Veranstaltung. Es ist Samstagabend und draußen regnet es in Strömen; unter dem Dach sind Plastikeimer aufgehängt, um das Tropfwasser aufzufangen. Von den gut sechzig Zuschauern stört das keinen. Fasziniert verfolgen sie den Auftritt von "Mr. Tiger Magie", einem thailändischen Magier der Extraklasse. Ein großes Stück Berliner Mauer und ein pechschwarzer Vorhang sind auf der Bühne aufgebaut. Bernhard Eber kündigt an, dass "Mr. Magie durch die Berliner Mauer schreiten wird". Die Musik wird lauter, das Knistern noch einen Deut spürbarer. Ein Trommelwirbel, dann ist es so weit. Drei Stunden lang gelingt es dem Magier, das Publikum zu begeistern, das aus der Umgebung von Günzburg und Gundelfingen, aber auch aus Ulm und Augsburg kommt.

Das "Kulturgewächshaus Birkenried" hat sich in der Gegend zum Geheimtipp gemausert. "Geld verdienen lässt sich keines damit, aber wir haben unglaublich viel Spaß dabei. Und die Leute sind begeistert", erzählt der Initiator des Ganzen, der Berliner Maler Bernhard Eber, nach dem gelungenen .Abend. Er ist der Einzige aus der Großfamilie mit sieben Geschwistern, den es als Bildhauer und Maler vor Jahren aus seiner schwäbischen Heimat verschlagen hat - nach Berlin.

Aber daheim in Birkenried gefällt es ihm eben immer noch am besten. Und so wurde vor sieben Jahren die Idee geboren, das alte, ausgemusterte Gewächshaus zu einem Veranstaltungsgebäude umzubauen, in dem Künstlern und solchen, die es werden wollen, die Chance eines Auftritts geboten werden kann. Vom Aktmalkurs bis zum Musikworkshop, vom Magierauftritt bis hin zu Jazz-Schmankerln und einem Abend mit afrikanischer Musik reicht das Programm, das heuer erstmals im Rahmen eines kleinen Kultursommers dargeboten wurde. Aus einer 100 Jahre alten Birke, die der Sturm Lothar gefällt hat, arbeitete beispielsweise der Bildhauer Francesco Bovolo eine Venus-Skulptur - die "Venus von Birkenried".

Und weil einige der Veranstaltungen - wie etwa der Auftritt des thailändischen Magiers Mr. Tiger - so außerordentlich erfolgreich waren, wird das Programm bis in den November hinein weitergeführt. Flamencoabende und Trommelsessions, Magie und ein Teufelsgeiger stehen noch im Programm. "Ich kenne die Künstler alle aus Berlin. Sie gehören irgendwie zur Familie", erklärt Bernhard Eber. "Sonst könnten wir das gar nicht machen. Da sind Spitzenmusiker und namhafte Künstler dabei, wenn wir denen die volle Gage, zahlen müssten, hätten wir keine Chance." Sie kommen, weil es sie reizt, an diesem ungewöhnlichen Ort in der würtembergisch-bayerischen Grenzregion mal etwas anderes zu machen. Wenn es gilt, eine neue Veranstaltung vorzubereiten, sind die Ebers alle dabei: vom kleinen Stephan bis hin zum etwas trocken wirkenden Bruder Bruno.

"Wenn Bernhard in Berlin ist, bekomme ich immer wieder meterlange Faxe, was ich alles tun soll", berichtet Bruno, der dann beim Pflanzenausfahren auch schon mal einen Stapel Handzettel mitnimmt und an seine Kunden verteilt.

"Die Druckerei bekommt demnächst wieder eine Plastik von mir", erzählt Bildhauer Bernhard Eber. "Ich bezahle die Druckaufträge immer mit Bildern oder Skulpturen." Man hilft sich gegenseitig in der Familie Eber. Ein Bruder stellte den Lkw zur Verfügung, um die tonnenschwere Mauer zu holen, ein Neffe "hat die Ochsentour des Transports auf sich genommen". Nicht nur die Bühne, das ganze Gewächshaus wird für die Vorstellungen mit viel Liebe - und beträchtlichem Arbeitsauf wand - hergerichtet.

Von Bernhard Eber und seiner Partnerin, von Brüdern und Neffen erfahren wir dann auch etwas über die Geschichte des Gewächshauses. "Früher", erzählt Bernhard Eber, "sind hier Tomaten und Gurken gezogen worden. Als sich der Gemüseanbau nicht mehr lohnte, wurde hier eine Schafherde untergebracht; später waren es Bullen, am Schluß Pferde". Und irgendwann wurde es zu dem, was es heute ist. Vor sechs, sieben Jahren entstand die Idee zum "Kulturgewächshaus". Alle mussten ran, das alte Gewächshaus auszumisten und herzurichten. Zunächst war es nur ein Atelier für junge Künstler, dann kamen nach und nach die ersten Veranstaltungen. Heute können sich angehende Künstler oder auch nur Erholung Suchende durchaus mal ein paar Tage in einem der renovierten Gebäude einmieten und malen oder Skulpturen erschaffen.

Norbert Eber nickt vielsagend, als die Rede auf den Berg Arbeit kommt, der zu bewältigen war. Er ist der Handwerker im Gewächshaus-Clan. Jeder hat eine andere Aufgabe, sagt er. Aber auch, wenn er mitunter etwas mürrisch auf die neuen Aufträge des Bruders aus Berlin reagiert, man merkt auch ihm an, wie stolz sie alle auf dieses Kleinod sind. Wenn dann nach einem Flamencoabend oder dem Auftritt des "Trevor Richards Trios" aus New Orleans der Beifall nicht abreißen will, dann spüren sie, dass sie hier draußen zwischen Gemüse- und Blumenbeeten etwas Besonderes geschaffen haben.



Quelle: Birkenried, 89423 Gundelfingen, Tel. 0 8221/2 42 08 oder Homepage: www.birkenried.de

Artikel von Klaus Wittmann
Oktober 2000
Stuttgarter Zeitung

Comments 1

  • Karo 03/11/2021 19:48

    Wie hoffnungsvoll mich das alles stimmt ! So etwas braucht es mehr denn je !
    Danke für die Informationen - möge es Früchte tragen in jedweder Hinsicht !
    Karo

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