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Wo vor 70 Jahren die Wut eskalierte

Wo vor 70 Jahren die Wut eskalierte

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smokeonthewater


Premium (World), Berlin

Wo vor 70 Jahren die Wut eskalierte

[Neu eröffnete U-Bahnstation "Rotes Rathaus", Linie U5 • Berlin-Mitte, 10. September 2022]

Am 17. Juni 1953 kam es in vielen DDR-Städten zu Aufständen gegen das SED-Regime.
Die Arbeiter forderten eine gerechte Entlohnung und freie Wahlen.
Sowjetische Panzer, die überall stationiert waren, beendeten den Aufstand blutig.

Unweit des Roten Rathauses, auf dem Alexanderplatz, hatte sich auch eine Menschenmenge eingefunden.
Dort, wo die Rathausstraße in den Alex mündet, wurde der Stasi-Offizier Rudolf Gutsche gestellt.
Er und sein Fahrer wurden aus dem Auto gezerrt und verprügelt.
Als Gutsche einen Warnschuss abgab, schlugen die Leute umso heftiger zu und zündeten das Auto an.

Es wurden fünf Täter ermittelt, angeblich West-Berliner, die als Provokateure agierten.
Das war und ist die übliche Ausrede in Diktaturen, weil nicht sein kann, dass das Volk von sich aus rebelliert.
Sie wurden am 25. August 1953 zu Zuchthausstrafen von sechs bis zwölf Jahren verurteilt.

Ob die Verurteilten authentische Personen in einem Schauprozess oder erfundene Täter waren, ist ungeklärt.
Diese Propagandamethode wurde damals häufiger angewandt, als bisher vermutet wurde.

Erst kürzlich deckte der Historiker André Gursky auf, dass die Hinrichtung der Erna Dorn ein Fake war.
Sie lebte im Juni 1953 in Halle/Saale, aber nahm nicht am Aufstand teil. Sie wurde verhaftet und wieder entlassen.
Ihre Identität – Name, Erkennungsfotos – wurde jedoch dazu benutzt, um ein fiktives Exempel zu statuieren.
Der "Akten-Erna" wurden Teilnahme am Aufstand und die Täterschaft in einem KZ unterstellt.
Letzteres diente als Grund, um die Todesstrafe zu verhängen und zu vollstrecken.
Und es diente der Propaganda, um zu zeigen, dass Nazis den Aufstand angezettelt hatten. —
Gursky konnte die wahre Erna Dorn vor Jahren als Rentnerin in den alten Bundesländern ausfindig machen.

Comments 7

  • Zwecke 18/06/2023 7:44

    Zu dem Zeitpunkt war ich leider, oder besser gesagt Gott sei Dank, im Westen zu Besuch bei meinem Bruder in Erlangen.
    In dem Teil von Thüringen, fünf Kilometer von der Grenze, waren mit Sicherheit keine Unruhen, damals wohnte ich noch in Römhild.
    In Meiningen waren durch das RAW, die Arbeiter auf die Straße gegangen.
    LG Horst
  • anne47 17/06/2023 23:25

    Die Mär von den westlich gesteuerten Protesten ist genau so alt, wie es den kalten Krieg gibt. Die Methoden haben sich nicht viel geändert: lügen, täuschen, betrügen und vertuschen....und falls das alles nichts hilft, dann wird mit Panzern die alte Ordnung wieder hergestellt.
    LG Anne
    • smokeonthewater 17/06/2023 23:57

      Die Bürger haben diese Märchen nie geglaubt, auch weil die westlichen Radiosender glaubhafter über den Aufstand berichteten. Außerdem wusste jeder, woher die eigene Unzufriedenheit kam. Die musste niemandem erst eingeredet werden.
      Heute fehlt in Russland diese Aufklärung von außen, so dass die Bürger den gleichgeschalteten Medien glauben. Und AfD-Wähler glauben jedes Märchen, das sie hören wollen und ins faktenfeindliche Weltbild passt. Ganz schlimm muss es in Nordkorea sein, wo kein Austausch mit dem Süden stattfindet.
  • Eifelpixel 17/06/2023 6:18

    Die Geschichte sehr gut dargestellt
    Joachim