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Rhyfall

Der Rheinfall in Neuhausen im Oktober 2007

























Richten

Auf einer Wiese weidete friedlich eine Herde Schafe. Plötzlich tauchten aus dem umliegenden Wald Löwen auf und
warfen sich auf die Herde. Die Wiese war getränkt vom Blut der Schafe. Die Löwen blieben und beraubten die Schafe ihrer früheren Freiheit. Die Schafe litten sehr, denn sie waren vollständigder überlegenen Macht der Löwen ausgeliefert. Die Schafe taten sich zusammen und besprachen ihre Situation. So auf jeden Fall konnte es nicht weitergehen. Es ergab sich, daß unter den Schafen ein altes und schlaues Schaf war, das folgende Überlegungen anstellte: «Durch die Kraft können wir den Löwen nicht entrinnen; wir können uns nicht in Löwen verwandeln. Aber etwas ist möglich; wir können aus den wilden Löwen zahme Schafe machen. Wir können die Löwen dazu bringen, daß diese ihre eigene Natur vergessen; das ist möglich. »Die anderen Schafe willigten in einen Versuch ein. So begann das inspirierte Schaf mit seiner Botschaft an die blutdürstigen Löwen. Es rief: «Oh, ihr unverschämten Lügner, ihr, die ihr nichts wißt von der ewigen Verdammnis! Ich besitze die spirituelle Macht, ich bin ein Gesandter Gottes für die Löwen. Ich bin das Licht für das verdunkelte Auge, ich komme, um Gesetze zu erlassen und Befehle zu erteilen. Laßt ab von euren schändlichen Taten! Ihr, die ihr das Böse in euch habt, denkt an das Gute! Wer wild und brutal ist, ist ein Tyrann. Die gerechten Wesen ernähren sich nicht von Fleisch, sondern von Gras. Den Vegetarier hat Gott lieb. Eure spitzen Zähne sind eine Schande für euch. Das Paradies gehört den Schwachen. Es ist schlecht, nach Wohlstand zu trachten; die Armut ist Gott wohlgefälliger als der Reichtum. Anstatt Schafe zu töten, töte dein Selbst und du wirst belohnt werden! Ihr müßt verrückt sein, wenn ihr euer Selbst nicht vergeßt. Schließt eure Augen, schließt eure Ohren, schließt eure Lippen, damit eure Gedanken den höchsten Himmel erreichen können. Diese Weide ist nichts, ist Illusion, gebt euch nicht mit einer Illusion zufrieden!» So sprach das schlaue Schaf. Und es kam, wie es kommen mußte.

Die Löwen, ermüdet von ihrem ständigen Kampf, machten sich langsam die Religion der Schafe zu eigen. Sie begannen Gras zu fressen, ihre Zähne wurden langsam stumpf, das schreckliche Leuchten in ihren
Augen verschwand; langsam schwand auch der Mut aus ihren
Herzen. Sie verloren die Fähigkeit zu herrschen, sie verloren ihr Ansehen, ihre Macht, ihren Wohlstand. Ihre körperliche Kraft schwand dahin, während ihre spirituelle Angst wuchs. Die Angst vor dem Tod, die Angst vor dem göttlichen Gericht nahm ihnen den Mut. Die Angst produzierte zahllose Krankheiten, die sie vorher nie gekannt hatten. Armut und kleinliches Denken
hielten Einzug in die Herde der einst machtvollen Löwen. Die
Schafe hatten es geschafft, die Löwen einzuschläfern. Die Löwen nannten diesen Niedergang «Die moralische Kultur».


Und die Moral von der Geschicht'?

Wenn Sie es schaffen, einen Menschen von dessen sündhaftem Lebenswandel zu überzeugen und ihm Angst einzuflößen, dann machen Sie aus ihm einen schwächlichen Menschen und können ihn auf einfache Art beherrschen.

Wenn Sie eine Sekte gründen wollen: Hier haben Sie das seit Jahrtausenden bewährte Rezept dazu.
Oder positiv formuliert: lassen Sie sich von niemandem einreden, Sie seien ein Sünder. Fragen Sie sich vielmehr, was die Beweggründe dafür ein könnten, daß er aus Ihnen einen machtlosen Menschen machen will. Und fragen Sie sich bitte auch, wie die Sünde in ein Weltbild der christlichen Liebe hineinpassen könnte.

Sie kann es nicht, weil sich bedingungslose Liebe und Sünde (Richten) gegenseitig ausschliessen.

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