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Leben mit dem Braunkohletagebau: Das Geständnis

Leben mit dem Braunkohletagebau: Das Geständnis

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Franz-Josef Wirtz


Premium (Pro), Düsseldorf

Leben mit dem Braunkohletagebau: Das Geständnis

Schönen Tag!

Wissen Sie nicht wo Borschemich ist?

Ja, hier ist das. Jetzt. Aber nicht mehr, nicht mehr lange.

Für uns Alten ist das nichts.
Ich bin von 30. Von 30.
Ja, die Jungen, die können das noch.
Die können weggehen. Die gehen weg.

Hier gibt es aber auch keine Arbeit mehr.
Früher hatten wir 25 Bauern, jetzt noch zwei, naja, zwei einhalb.
Da kaufen die einen Trecker mit 100PS für 100.000Euro.
Früher, da haben die viele Knechte gebraucht.
Nein, keine Arbeit gibt es hier mehr.
Wo wollen die auch arbeiten.

Ich will nicht weg.
Aber es ist ja nichts mehr dran zu ändern.
Es ist ja auch keiner da, der einem hilft.
Nichts kann man mehr dagegen machen.
Und die haben so viel gemacht.

Die Kirche kann auch nichts machen.
Ist das nicht eine schöne Kirche?
Am neuen Ort wollten sie ja auch eine haben.
Da waren die in Aachen beim Bischof
und der Bischof, der war auch hier.
Eine neue Kirche, nein, die gibt es nicht.
So können die alle auch nichts machen.

Ist das nicht ein schönes Dorf?
So ein feiner Ort.
Da gibt es andere, die sind aber viel schlechter.
Borschemisch, das ist doch ein schönes Dorf.
Schön ist das hier.

Berverath und Keyenberg, Westrich und all die kleinen,
das sind ja gar keine richtigen Dörfer.
Die wollen ja mit nach Neu-Borschemich, mit nach Erkelenz.
Ich will gar nicht weg.

Von 30 bin ich. Und dann der Krieg.
Das haben wir alles durchgemacht.
Nur bis zur siebten Klasse konnte ich zur Schule.
Wir konnten ja nichts.
Ein Lehrer hat uns später mal zu sich geholt
um uns so noch etwas beizubringen damit wir was konnten.
Die Schule, alles hier kommt ja weg, die Kirche.

Nein, die Alten, für die ist das nichts.
Die können das nicht mehr.
Aber wir müssen ja alle, einer wie der andere.

Die Großen, die Firma da, die kommen da noch gut bei weg,
denen macht das nichts.
Wenn man alt ist, das ist nichts.
Aber es ist ja jetzt nichts mehr dran zu ändern.
Und keiner ist da, der einem hilft.

Schönen Tag wünsch ich Ihnen noch.

(Nach einem Gespräch mit einem betagten Bewohner von Borschemich, unweit der Stahlplastik)

[°Ô(]

Detail der Plastik "Das Geständnis" von Thomas Jentgens, 2004/2005, Stahl, 3m, zum Verkauf ausgestellt in Borschemich.

Borschemisch liegt im Abbaugebiet des s Garzweiler II und wird in diesem Sommer nach Erkelenz Nord "umgesiedelt". Weitere 2006 betroffene Orte sind Immerath, Lützerath und Pesch, die jedoch nach Kückhoven umgesiedelt werden. Insgesamt werden für Garzweiler über 8000 Menschen ihrer Heimat beraubt und zwangsumgesiedelt.

Comments 5

  • Katrin Gems 01/01/2011 21:11

    Der Text ist toll!
  • Franz-Josef Wirtz 20/04/2006 15:48

    Die Lösung werden wir nicht finden, wenn wir weiterhin nicht danach suchen. Was wir in Otzenrath, Borschemich und so weiter sehen muss uns doch die Augen öffnen, dass es so längst nicht nicht weiter gehen kann. Es tut immer nur wenigen weh, da lässt sich gut warten.

    Die Magnolie hatte ich ganz am Anfang meiner fotohome-Serie verwendet:
    Leben mit dem Braunkohletagebau: Die Blüte kommt vor dem Fall
    Leben mit dem Braunkohletagebau: Die Blüte kommt vor dem Fall
    Franz-Josef Wirtz

    (Mittlerweile habe ich bessere Aufnahmen davon)
  • Theophanu 20/04/2006 13:31

    ich weiß zwar nicht, ob eine verkohlte hand so aussieht, aber so könnte sie. ein text, der mich betroffen macht. aber wo ist die lösung des energieproblems, wenn wind-, sonne- und wasserkraft allein nie reichen bei den hohen und knapper werdenden rohölpreisen? man kann das rad der zeit nicht zurückdrehen, so so leben viele mit den negativen folgen der globalisierung ohne eine alternative zu haben.
    lg uta
  • Renate Bonow 20/04/2006 10:54

    eindrucksvolles dukument.
    lg renate
  • Angela DS 20/04/2006 10:11

    Ja, Borschemich kenne ich. Ein schönes Dorf mit einer schönen Kirche und einer wunderbaren Magnolie davor. Von dem Text krieg' ich einen Kloß im Hals!!
    LG, Angela