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Warum Ernst Thälmann sterben musste (Denkmal in Stralsund)

Warum Ernst Thälmann sterben musste (Denkmal in Stralsund)

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Johannes Zakouril


Premium (Pro), Neu-Ulm

Warum Ernst Thälmann sterben musste (Denkmal in Stralsund)

Der Sowjetdiktator Stalin ließ dessen flehentliche
Briefe aus der Haft allesamt unbeantwortet

Schon im Frühjahr 1933 ließen die gerade erst an die Macht
gekommenen Nationalsozialisten Ernst Thälmann, den einst so
populären Führer der Kommunistischen Partei Deutschlands
(KPD), verhaften und hielten ihn bis zu seiner von NS-Diktator
Hitler persönlich angeordneten Ermordung im August 1944
gefangen. Allerdings war Thälmann erst spät in das berüchtigte
Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar eingewiesen
worden. Zuvor war er jahrelang ein „Komfort-Häftling“ im
Zuchthaus Hannover gewesen. Er durfte viele Male Besuch von
seiner Frau empfangen und ihm wurden auch zahlreiche
Vergünstigungen wie Briefeschreiben und der regelmäßige
Bezug von Tageszeitungen zugestanden.
Thälmanns Schicksal ist insbesondere deshalb eine persönliche
Tragödie, als er Zeit seines Lebens ein glühender Verehrer des
Sowjetdiktators Stalin gewesen war und jeden Wink oder Befehl
von diesem sklavisch befolgt hatte. Schon im Jahre 1925 wird
er auf Stalins Betreiben Vorsitzender der KPD und löst die
bisherige Vorsitzende Ruth Fischer ab, die einen von Moskau
unabhängigeren Kurs zu steuern versucht hatte. Als Thälmann
1929 wegen einer massiven Korruptionsaffäre den Parteivorsitz
abgeben muss, sorgt Stalin im Hintergrund dafür, dass er schon
bald wieder in sein Amt zurückkehren kann. Größte politische
Fehlleistung des KPD-Führers war es nach dem Urteil vieler
Historiker, dass Thälmann – bedingungslos auf der Linie
Moskaus – die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)
propagandistisch in jahrelangen Wahlkämpfen immer wieder als
„Sozialfaschisten“ diffamiert und zum Hauptfeind erklärt hatte
und nicht etwa Hitlers permanent stärker werdende NationalSozialistische Partei Deutschlands (NSDAP). Durch diese
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Zersplitterung der Anti-Hitler-Parteien trage Thälmann faktisch
eine gewisse Mitschuld an der Machtergreifung Hitlers.
Obwohl die Nazis, vermutlich auf spezielles Betreiben des NSPropagandaministers Goebbels, mehrfach lange Gespräche mit
Thälmann in der Haftanstalt Hannover führten, lässt er sich
nicht von seinem moskau-hörigen Kurs abbringen und zu einem
„Bekenntnis“ zum NS-Regime bewegen. Selbst vor dem
Hintergrund der von Stalin in Gang gesetzten gigantischen
Terrorwelle - unter anderem mit inszenierten Schauprozessen
gegen vermeintliche „Konterrevolutionäre“, „Agenten“,
„Saboteure“ und „Terroristen“- , die in den Jahren von 1930
bis 1938 etwa fünf Millionen Menschen in der Sowjetunion das
Leben kostet, bleibt Thälmann ein hypertropher StalinVerehrer. In den zahlreichen Briefen an Genossen und an Stalin
selbst, die seine Frau regelmäßig von ihrem Mann aus der
Haftanstalt mitnehmen darf, überschlägt er sich geradezu mit
Hymnen über Stalin. In einem Brief vom 1. März 1939 schreibt
Thälmann beispielsweise: „Über das Gekläffe und das
Verzweiflungsgeschrei der vereinigten Opposition aller
Schattierungen hinweg, stand Lenins Partei, allen Gefahren
trotzend, von seinem einstmaligen besten Schüler, dem
Genossen Stalin, entschlossen und meisterhaft geführt, wie ein
starker Fels in der Brandung.....“
Und weiter heißt es in diesem Brief: „Während eine Zeitlang die
bekannten konterrevolutionären Oppostionsführer (gemeint ist
unter anderem Leo Trotzki – der Autor) die Großmut und die
menschliche Geduld des Genossen Stalin auszunutzen
versuchten, führte Stalin mit seiner ihm treu und fest
ergebenen bolschewistischen Partei den entscheidenden Schlag
gegen die gesamte Opposition siegreich zu Ende, mit dem Ziel,
ihre landesverräterischen Führer endgültig zu vernichten.“ Und
weiter: „Die ganze Partei und der Parteitag und mit ihnen die
Kommunistische Internationale werden diese kühne und
entschlossene Tat ihres Genossen Stalin begeisternd und
dankend begrüßen und in jeder Weise zu würdigen wissen.“
In einem Brief vom 24. Oktober 1939 lobt sich Thälmann mit
glühenden Worten selbst: „Die Entwicklung in der Sowjetunion
wurde von mir mit Begeisterung und mit Tatsachenmaterial
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aufs äußerste verteidigt, wie auch alle böswilligen
Anschuldigungen gegen Stalin und seine engsten Mitarbeiter
und Freunde von mir auf das entschiedenste zurückgewiesen
wurden.“
Nicht einmal der sogenannte Hitler-Stalin-Pakt vom 24. August
1939 konnte Thälmann von seiner Stalin-Hörigkeit abbringen.
In dem Vertrag der sich bis dahin propagandistisch jeweils als
Todfeinde betrachtenden aggressiven Großmächte hatten sich
Deutschland und die Sowjetunion auf den gemeinsamen
Überfall auf Polen und die Teilung dieses Landes geeinigt.
Faktisch bedeutete das Abkommen die Einladung Stalins an
Hitler, den Zweiten Weltkrieg zu beginnen, denn Großbritannien
und Frankreich hatten zuvor mit Polen Beistandspakte
geschlossen für den Fall, dass es angegriffen werden sollte.
Vermutlich hat dieses neue Verhältnis zwischen Stalin und
Hitler, das nach dem gemeinsamen Sieg über Polen durch ein
regelrechtes Freundschafts- und Handelsabkommen
untermauert wurde, für Thälmann einen Kulturschock bedeutet.
Dennoch versuchte er sofort, auch für diese dramatische
Kehrtwendung des von ihm so hoch verehrten Stalin
Verständnis aufzubringen. „Mit der prophetischen Bemerkung,
dass ich noch im Kerker die Zeit miterleben würde, wo das
deutsche Volk die Hilfe Sowjetrußlands für die deutsche Nation
mit innerster Befriedigung und mit Freude aufnehmen und
begrüßen würde, schloß ich meine unerbittliche und
kompromißlose sowjetfreundliche Antwort“ (Brief vom 25. 10.
1939).
Selbst die beispiellos brutale Eingliederung der drei seit 1920
selbständigen baltischen Staaten in die Sowjetunion
entsprechend dem Hitler-Stalin-Pakt feierte Thälmann mit
großer Begeisterung: „Mit revolutionärem Stolz und
revolutionärer Hingabe gratuliere ich Euch zu der Ausrufung der
Sowjet-Republik in Estland, Lettland und Litauen und ihren
Anschluß an die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Es
ist ein Triumph für den Bolschewismus, daß die ehemalige
Heimat Alfred Rosenbergs (führender NS-Ideologe – der Autor)
räterussisch geworden ist.“
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Thälmanns Tragödie treibt dem Höhepunkt zu, als er
angesichts der neuen Harmonie zwischen Hitler und Stalin an
sein persönliches Schicksal denkt. Seine Frau hatte bereits
einen Brief an Hermann Göring, einen der engsten Vertrauten
Hitlers, geschickt mit der Bitte um Freilassung ihres Mannes.
Doch sie erhielt darauf nie eine Antwort. Dennoch keimt in
Thälmann die konkrete Hoffnung auf, nach mehr als sechs
Jahren Haft endlich freizukommen. „Im übrigen bin ich weiter
und gerade jetzt davon überzeugt, daß Stalin und Molotov in
den Verhandlungen mit Ribbentrop (NS-Außenminister – der
Autor) es nicht versäumt und vergessen haben, die Frage der
Freilassung der politischen Gefangenen in Deutschland und die
meiner Persönlichkeit zu stellen“. Und weiter heißt es in dem
Brief: „Aber daß Stalin und Molotov die Frage der Freilassung
der politischen Gefangenen einschließlich die von Thälmann
irgendwo und irgendwie gestellt und aufgeworfen haben, davon
bin ich innerlich felsenfest überzeugt, denn es ist für mich ganz
selbstverständlich, daß meine Freunde nur so und keinesfalls
anders gehandelt haben.“ Und dann folgt der verzweifelte
Hoffnungsstoßseufzer: „Alles, aber auch alles spricht heute für
meine baldige Freilassung...“
Als aus Moskau monatelang keinerlei Signal kommt, versucht
Thälmann aufkommende Zweifel mit folgenden Zeilen
zurückzudrängen: „Aber sollte meine Aufenthaltsfrage in
Deutschland als ein erschwerender Faktor für meine Freilassung
hindernd im Wege stehen oder sollten führende
Persönlichkeiten des Hitler-Regimes im Falle meiner Freilassung
meinen Aufenthalt in Deutschland fürchten oder nicht gerne
sehen, so bin ich auch bereit nach der Sowjet-Union zu gehen,
wo ich freudigst und sehr gerne aufgenommen würde.“
Insgesamt 24 Briefe schreibt Thälmann an Stalin, die seine
Frau regelmäßig zur Sowjetischen Botschaft in Berlin bringt.
Erst beim 14. Brief lässt man sich dort herab, einen davon
entgegenzunehmen mit der Begründung, die Handschrift
prüfen zu lassen, ob der Schreiber wirklich Ernst Thälmann sei.
Danach gelangen schließlich alle Briefe nach Moskau und auf
Stalins Schreibtisch. Als Thälmann im März 1940 immer noch
keine Anwort erhalten hat, schreibt er erneut: „Von dem
aktiven Eingreifen meiner russischen Freunde verspreche ich
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mir den einzig und allein ausschlaggebenden Erfolg zu meiner
baldigen Freilassung.“ Und weiter: „Für mich ist heute schon
klar, daß die Sowjet-Union diese meine neue Heimat sein
wird......Also denkt an Euren tapferen Kämpfer und
unbeugsamen Revolutionär, der ungebrochen und standhaft an
der heiligen Idee des Kommunismus festhält und der seine
revolutionäre Pflicht auch hier im Kerker erfüllt, indem er allen
Lügen und Angriffen gegen das sozialistische System immerfort
trotzend, alle....Gegner des Sowjet-Systems sehr oft erfolgreich
bekämpfte....“ Der Brief schließt mit den demütigen Worten:
“In tiefer Liebe und unverbrüchlicher Treue gedenke ich der
genialen Führer der Sowjet-Union und weise, wo es nur möglich
ist, alle Angriffe gegen meine teuren Freunde energisch und
rücksichtslos zurück.“
Die Briefe sind nach dem Zusammenbruch des Sowjetregimes
Anfang der 1990er Jahre in Stalins persönlichem Archiv
aufgefunden worden. Einer davon trägt seine handschriftliche
Notiz: „Ablage!“ Es hätte den Sowjetdiktator nur einen kurzen
Wink an den Deutschen Botschafter in Moskau gekostet, und
man hätte Ernst Thälmann im Salonwagen an die neue
deutsch-sowjetische Grenze in Brest-Litowsk befördert. Doch
Stalin hatte offensichtlich kein Interesse mehr an diesem einst
in Deutschland populären KPD-Führer. Vermutlich war ihm der
farblose KP-Funktionär Walter Ulbricht als williges Werkzeug zur
Etablierung eines Sowjetsystems in Ostdeutschland nach
Kriegsende wichtiger gewesen.
(Quelle: „Ernst Thälmann: An Stalin – Briefe aus dem
Zuchthaus 1939 – 1941“ Dietz-Verlag Berlin 1996)

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