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Triptychon

„Unsere Bestrebungen, endogene Schizophrenie verstehen

zu wollen, scheiterten bislang und alle Vorhaben brachten

uns keinen Deut weiter.

Jetzt nährt ein Zweifel den Gedanken, ob nicht der Weg ein

anderer sein müsse. Mir fielen die Zeichnungen mancher

Patienten auf, Bilder von unvergleichlicher Originalität.

Der krankhafte Wahn gebiert förmlich eine Kreativität, die

ihresgleichen sucht. Vielleicht könnte dies der Schlüssel

sein zum Verstehen der Psychopathogenese.


Müsste nicht alles möglich sein, wenn nur der Geist bereit ist?

Ein offener Geist führt auf neue Wege, die ungeahnte

Möglichkeiten bereithalten. Die unerschöpfliche Vielfalt des

Universums ist in uns allen! Aus dieser Quelle steigen unsere

Vorstellungen, Bilder und Träume empor. Bisweilen will mir

scheinen, sei die psychiatrische Nervenkrankheit nur die

Verzerrung dieses Emporsteigens, nicht aber die Vergiftung

der Quelle selbst.


Doch mein Gedanke stieß bei den Kollegen auf Ablehnung.



Die Berge sind ein immerwährender Tanz von Licht und Schatten –

pulsierend, mächtig und stumm zugleich.

Dorthin habe ich mich auf den Weg gemacht, denn hier

sind die Pfade mystisch und zweifelhaft. Dies hilft mir,

meinen Geist zu öffnen. Der Weg zum inneren Raum führt

über den Fremden in mir. Sein Spiegel sichert meine Spur

durch unsicheres Terrain. Der Fremde in mir, beschattet

von heiligem Wahnsinn, zaubert traurig mir dunkle Mythen

herbei und meine Gestalten mahnen mich, den inneren

Raum zu verdichten. Jenen heiligen Ort, an dem ich noch

verlorene Wörter wiederzufinden oder vergessene aus der

Stille emporzuheben vermochte.


Nun muss ich mich heranschleichen an das Zwielicht und

die Bilder entfalten wie einen Orkan.“



Dr. Gordon Mendenhall. Psychiater.
Tagebucheintrag. 15. Oktober 1926


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