Back to list
Nasenpolitik für Gumminasen? [ + viel Text + ]

Nasenpolitik für Gumminasen? [ + viel Text + ]

19,634 2

Patrick Rehn


Premium (World), Bebra-Lüdersdorf

Nasenpolitik für Gumminasen? [ + viel Text + ]

Nun ein Sprung von der Nord- an die Ostsee, aber immer noch Schleswig-Holstein. ;-)

Mitte der 1980er Jahre entstand bei den Dänischen Staatsbahnen (Danske Statsbaner, DSB) der Wunsch von Kopenhagen ausgehend ein Schnellzugnetz aufzubauen, bei welchem man quasi selbstfahrende Kurswagen einsetzen wollte. Auf den Unterwegsbahnhöfen sollten die Züge beliebig gestärkt oder geschwächt werden können, gleichzeitig sollte der Rangieraufwand minimal und der Zug durchgehend begehbar sein. Eine weitere damalige Forderung war die sogenannte Fährboottauglichkeit, da seinerzeit in und um Dänemark noch längst nicht so viele Brücken und Tunnel angelegt waren um die einzelnen Landesteile miteinander zu verbinden wie heute.

Der Hauslieferant der DSB, ABB Scandia (später ADtranz, heute Bombardier), entwickelte daraufhin die dreiteiligen knapp 60 Meter langen Triebzüge der Reihe MF, welche ab 1989 bis 1993 in insgesamt 85 Exemplaren gebaut wurden. Mit Eröffnung der Verbindung über den Großen Belt wurden weitere sieben Einheiten nachbestellt, später kaufte man noch vier Einheiten aus Schweden, so dass der Gesamtbestand aktuell bei 96 Zügen liegt.

Den Diesel-Triebzügen vom Typ IC3 folgte bald eine elektrische vierteilige Variante, welche als IR4 bezeichnet wird. Die Fahrzeugsteuerung erlaubt dabei auch gemischte Traktionen zwischen den einzelnen Zügen, maximal fünf Einheiten können mithilfe der automatischen Mittelpufferkupplung vom Typ Scharfenberg verbunden werden. Aus den charakteristischen Gummiwülste an den Fahrzeugfronten, welche den Triebzügen den etwas abwertenden Spitzname "Gumminase" einbrachte, wird hierzu Druckluft abgelassen. Nach dem Kuppeln werden die Gummiwülste wieder mit Druckluft beaufschlagt, so dass die Kuppelstellen zugluftdicht sind. Die Führerstände lassen sich anschließend einfach nach links wegklappen, so dass die gesamte Zugeinheit durchgehend begehbar ist. Weitere Varianten der Triebzüge sind in Dänemark bei verschiedenen Privatbahnen, in Schweden, Israel und Spanien im Einsatz. Die spanischen Triebwagen (Bezeichnung 594) haben mittlerweile jedoch neue Fahrzeugfronten erhalten, ältere Aufnahmen im Internet zeigen jedoch noch die bekannte Optik mit den Gummiwülsten.

1994 lösten die IC3 die bislang zwischen Puttgarden und Rødby trajektierten EuroCity und D-Züge ab, welche bis dahin entweder aus einem vier Wagen starken "Stamm" bestanden der um bis/ab Puttgarden laufende Kurswagen ergänzt wurde oder aufwendig nachts auf die bis dahin teilweise mehrere Gleise einer Fähre verteilt werden musste - erinnert sei hier an die Nachtzüge "Nord-Express" (Aachen - Kopenhagen), "Alfred Nobel" (Hamburg - Stockholm) oder die erste einige Jahre später als "Hans Christian Andersen" bezeichnete Verbindung Innsbruck - Kopenhagen.

Mit Eröffnung des Storebæltsforbindelsen, der Brücken- und Tunnelkombination zur Verbindung der beiden Inseln Seeland und Fünen, am 14. Juni 1998 wurde die letzte Lücke zwischen Kontinentaleuropa und Skandinavien geschlossen. Bereits 1995 war die Öresundbrücke in Betrieb genommen worden, welche fortan den Fährbetrieb zwischen Dänemark und Schweden obsolet werden ließ.

Schlagartig verlagerte sich der komplette Güterverkehr von der Vogelfluglinie auf die neue Route, welche durchgehend mit elektrischen Lokomotiven (anfangs / teilweise noch mit Umspannen im deutsch-dänischen Grenzbahnhof Padborg) befahren werden kann. Auch die Nachtzüge nahmen fortan den Weg über Fünen, so dass lediglich die Züge der Route Hamburg - Kopenhagen weiterhin zwischen Puttgarden und Rødby verschifft wurden. Mit dem Um- bzw. Neubau der Fähren wurde nur noch ein Gleis für den Transport von Eisenbahnfahrzeugen vorgesehen, so dass zwei gekuppelte IC3-Einheiten die längsten Züge sind, die aktuell zwischen Dänemark und Deutschland noch "zur See fahren".

Während unseres Sommerurlaub 2015 konnte ich die beiden Einheiten 5086 "Selandia" (erstes hochseefähiges Schiff mit einem Dieselmotor) und 5090 "Ernst-Hugo Järegård" (verstorbener schwedischer Schauspieler) beim Verlassen der MS Deutschland ablichten. Die beiden Triebwagen waren dabei als EC 238 im Kopenhagener Flughafen Oesterport gestartet und haben den Hamburger Hauptbahnhof als Ziel.

Mittlerweile sieht man (Nachtrag: fast) nur noch die dänischen Dieseltriebwagen im Einsatz zwischen Hamburg und Kopenhagen, die ICE-TD sind hier mittlerweile (Nachtrag: nahezu) verschwunden. (Über Puttgarden verkehren auch im neuen Fahrplan die ICE 1230 und 1233, ab Sommer zusätzlich der ICE 1232.)

Wo die Weißwurst schwimmen lernt...
Wo die Weißwurst schwimmen lernt...
Patrick Rehn

+ Hinweis: Die Aufnahme entstand durch die Glasscheibe des Fußgängersteg vom Fährterminal für Fußgänger und dem Verwaltungstrakt der Reederei Scandlines. +

Aufnahmedatum: Mittwoch, 24. Juni 2015 - 16:42 Uhr

Comments 2

  • makna 11/02/2017 16:18

    Kein attraktiver Zug, aber eine attraktive Verbindung mit einem hoch zu lobenden Text !!!
    BG Manfred
  • Haidhauser 10/02/2017 11:07

    Eine sehr gelungene Aufnahme des Fährbetriebs mit der doch recht eigenartig anzusehenden "Gumminase", dazu noch eine interessante Story! Top!!!
    LG Bernhard