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Indian Child - No More Boarding Schools

Indian Child - No More Boarding Schools

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Indian Child - No More Boarding Schools

Der Mißbrauch in Kirchen, Klöstern, Kinderheimen,Jugendwerkhöfen und sonstigen Einrichtungen hier in Europa liest sich gegen das, was in den nordamerikanischen Boardingschools abging fast harmlos. Die Entdeckung des Massengrabes mit indigenen Kindern war nur die Spitze eines Eisbergs, der längst bekannt sein sollte. Ähnliches versuchen die Chinesen gerade mit den Uiguren; dass es sowas auch in den USA und Kanada gab und gibt wird allzugern übersehen.

Junge Welt, 10.6.21
Brutale Umerziehung
Fund von Massengrab indigener Kinder in Kanada bezeugt Unterdrückung und Auslöschung der First Nations beiderseits der kolonialen Grenze
Als Ende Mai gemeldet wurde, auf dem Gelände der »Kamloops Indian Residential School«, einem ehemaligen kanadischen »Indianerinternat«, seien die sterblichen Überreste von 215 Kindern gefunden worden, war das Entsetzen groß. Vertreter der First Nations in Nordamerika erhoben erneut den Vorwurf des Völkermords. Hunderttausende zwangsweise in sogenannte Indianerschulen verschleppte Kinder belegten »sowohl die biologische als auch die kulturelle Vernichtung indigenen Lebens«, so das Lakota People’s Law Project (LPLP) aus North Dakota.
1948 hatte die Generalversammlung der Vereinten Nationen in der »Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes« in Artikel II ausdrücklich die »gewaltsame Überführung von Kindern der (bedrohten) Gruppe in eine andere Gruppe« als eine der Handlungen des Genozids definiert. Nichts anderes geschah mit den Kindern indigener Völker in Nordamerika, aber weder Kanada noch die USA schlossen nach Inkrafttreten der Konvention ihre Umerziehungsanstalten.
Die kanadische Regierung von Justin Trudeau ließ sich zwar 2015 auf Druck der First Nations auf die öffentliche Kritik der Internatsschulen im Rahmen einer »Wahrheits- und Versöhnungskommission« ein, prozessiert jedoch seitdem gegen Entschädigungsforderungen der Überlebenden. Bis zu 6.000 Mädchen und Jungen sollen allein in Kanada gewaltsam gestorben sein. Das Massengrab der Kleinstadt Kamloops wird laut LPLP nicht das letzte gewesen sein. Aus den USA gibt es zu den dortigen Internatsschulen keine offiziellen Zahlen. Washington hat bislang keinen ähnlichen Prozess der Aufklärung wie in Kanada zugelassen, weshalb das LPLP nun per Petition eine »Wahrheits- und Heilungskommission« fordert.
Kein isolierter Fall
Die Berichterstattung über das Massengrab in Kamloops hatte den falschen Einruck vermittelt, es handele sich allein um ein Problem des britischen Commonwealth-Staates. Faktisch und auch im Bewusstsein der indigenen Nations Nordamerikas gibt es die von den europäischen Eroberern geschaffene künstliche Trennung beider Staaten nicht. Für die Ureinwohner ist ganz Nordamerika traditionell »Turtle Island«, die »Schildkröteninsel«, so genannt wegen des Buckels der Rocky Mountains, der den Krötenpanzer darstelle. Der Fund der 215 Kinderleichen bestätigt die durchgängige Erfahrung des American Indian Movement und der First Nations, dass ihre Lage beiderseits der kolonialen Grenze stets gleich prekär war.
In Kanada verbrachten zwischen 1890 und 1976 mehr als 150.000 Kinder der First Nations die wertvollsten Jahre ihrer Kindheit und Jugend in 130 staatlich finanzierten, aber vom katholischen Klerus geführten Internatsschulen. Sie wurden ihren Familien zwangsweise entzogen, um sie umzuerziehen. Man schnitt ihnen die Haare ab, steckte sie in Uniformen, ließ sie zum Christentum konvertieren und verbot ihnen ihre Muttersprache und Kultur. Wie in römisch-katholischen Zuchtanstalten üblich, waren physische Gewalt, Strafen und sexueller Missbrauch an der Tagesordnung.
Aber diese »Schulen« wurden nicht in Kanada erfunden. Cindy Blackstock, Kinderschutzaktivistin aus Ottawa und Leiterin der First Nations Child and Family Caring Society of Canada, rückte das Geschichtsbild im Gespräch mit dem US-Nachrichtensender Democracy Now! zurecht. »Unser System der Internatsschulen basierte ursprünglich auf dem Modell der ›Carlisle Indian Industrial School‹ in Pennsylvania«, erklärte sie. John A. Macdonald (1815–1891), der erste Premierminister Kanadas, habe sich dorthin begeben, um hinterher in Kanada nach diesem Vorbild eigene Internatsschulen aufzubauen.
Krieg mit anderen Mitteln
Die 1879 in der Stadt Carlisle von US-General Richard Henry Pratt gegründete »Industrieschule für Indianerkinder«, in der sie mittels Arbeit und militärischem Drill an die Eroberergesellschaft angepasst werden sollten, gilt als das Flaggschiff der Umerziehungsinternate. Die staatlich finanzierte Einrichtung war für Pratt die Fortsetzung der von ihm jahrelang geführten »Indianerkriege« mit anderen Mitteln. Unter der vollen Kontrolle der dominanten weißen Gesellschaft sollten die indigenen »Schüler«, so Pratt, fernab der Reservationen »gedeihen«. In seiner Schule, dem »ultimativen Amerikanisierer«, gehörte »körperliche Züchtigung« zum Programm. Pratts Wahlspruch lautete: »Kill the Indian. Save the Man«. Also »töte den Indianer, aber rette den Menschen in ihm«, so Pratt in seinen archivierten Jahresberichten.
Die Schule in Carlisle, die bis heute im Ruf steht, den »Indianern Gutes getan« zu haben, wurde in den USA zum Vorbild für 26 staatliche und Hunderte konfessionell geführte Internatsschulen. Nach der Schließung im Jahr 1918 integrierte Washington Pratts Schulgebäude bezeichnenderweise in die dort seit 1901 angesiedelte Militärhochschule U. S. Army War College. Bis dahin hatten in knapp 30 Jahren über 10.000 Kinder aus 140 Nations die Umerziehungsanstalt durchlaufen, darunter viele Lakota, die heute schonungslose Aufklärung fordern.
Hintergrund: Wie kleine Sklaven
Arthur »Art« Solomon (1913–1997) war das älteste von neun Kindern einer frankokanadischen Mutter und eines Anishinaabe-Ojibway-Vaters aus Killarney in der kanadischen Provinz Ontario. Wie viele andere Kinder indigener Familien wurde auch Solomon zur Umerziehung in eine römisch-katholische »Indianerinternatsschule« gesteckt. Teil seiner Umerziehung war die Arbeit in einer Schmiede.
Über seine Erfahrungen dieser Jahre sagte der Älteste (»Elder«) seiner Nation dem Verfasser 1985: »Wir waren Kinder, mussten aber Männerarbeit verrichten. Den ganzen Tag standen wir neben dem heißen Schmiedefeuer. Die hielten uns wie kleine Indianersklaven. Ich durfte nicht mit meinen Schwestern sprechen, die in einem Haus auf der anderen Straßenseite untergebracht waren. Nur einmal im Jahr, meist an Weihnachten, durften wir nach Hause. Vorausgesetzt, wir hatten das Glück, dass uns jemand holen kam. Wir waren neun Geschwister, um die Kleinsten musste sich unsere Mutter alleine kümmern und konnte sie nicht alleinlassen. Es war die Zeit des Ersten Weltkriegs. Wir hatten kein Geld. Unser Vater konnte uns nicht holen, weil er im Winter weit weg als Holzfäller arbeitete und im Sommer als Fischer und Matrose. Das waren echt harte Zeiten ohne unsere Familien, und das prägt dich für dein ganzes Leben. Das Gute aus den ersten Jahren unserer Kindheit hatten wir bald vor lauter Angst vergessen. Für unsere Mutter war das alles sehr hart. Wenn wir bei ihr zu Hause waren, waren wir ihr eine große Hilfe. Aber das änderte sich, sobald die von der Schule uns wieder für lange Zeit abholten.« (jh)
Literaturtipps:
Mitch Walking Elk "I´ll Never Surrender"
Richard Erdoes/Mary Crow Dog "Lakota Woman"

Fighting Terrorism Since 1492
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Comments 19

  • noblog 16/05/2022 14:07

    Gut in Bild und Info.
    LG Norbert
  • Hellmut Hubmann 20/06/2021 8:22

    Bin mir sehr sicher, die großen Zeitungen haben andere Themen.
    Die JUNGE WELT liegt oft neben dem Trend und damit punktgenau in der Gesellschaft neben den üblichen Schlagworten.

    Der US-amerikanische Dokfilm HOME (Die Ansprache des Häuptling Seattle) von 1971 zeigt eine weitere Seite des ökomischen Verständnisses des Weißen Mannes.

    WIEGENLIED VOM TOTSCHLAG (Ralph Nelson, USA 70)- beeindruckende filmische Suche nach den Anfängen der Grausamkeit in der US-amerikanischen Streitkräften, aus gelöst durch die Massaker im Namen der Freiheit und des Profits in Vietnam.

    Danke für diese Infos.
  • lilabigblue 16/06/2021 21:10

    eine Doku, die tief berührt...
    lg
  • hansa5044 16/06/2021 12:20

    Die Überheblichkeit der "besseren" Menschen ist so alt wie die Geschichte der Menschheit. Sie ist grausam und feindlich gegenüber dem Anderen. Unser Zivilisation ist nur eine dünne Tünche ...... LG Hansa
  • Nature World... 15/06/2021 19:05

    Ja brutale Umerziehung ist immer eine extrem schlimme Angelegenheit bei Kindern und Jugendlichen egal wo und wann das auch immer passiert/e ..Zeigt es uns doch das Menschen nichts gelernt haben und das man so manche Politik unter den Namen Kirche wie auch  Demokratie hinterfragen sollte und muss weil sich bis heute nichts geändert hat .. Aufarbeitung statt Gesten: Die kanadische Regierung will sich nach dem Fund von Überresten von 215 indigenen Kindern auf dem Gelände eines ehemaligen Umerziehungs-Internats der Verantwortung stellen... Na dann ...Geschehendes Leid kann man nicht wieder gut machen oder gar vergessen ..Ich hoffe das es nicht nur wieder leere Bekenntnisse sein werden...

    Liebe Grüße Brigitte
  • Sigrid Warnke 15/06/2021 18:02

    Die meisten Menschen sind nicht gut und müssen mühsam sozialisiert werden. Ein deprimierender Text über Mißhandlung und Mißbrauch.
    LG Sigrid
  • H.-Jürgen Kühne 15/06/2021 17:39

    Das ist die Seite die wir bisher nicht kannten, schau in unsere Archive der Kolonialzeit, gleich und schlimmer! Dennoch danke für die aufrüttelnde Doku.
    LG Jürgen
  • Thomas Heinick 15/06/2021 17:25

    Ein klares Statement und eine aufrüttelnde Doku. Es ist wichtig, das solche Verbrechen und Geschehnisse nie in Vergessenheit geraten und aufgearbeitet werden.
    Herzliche Dienstagsgrüße
    Thomas
  • Tekla-Maria 15/06/2021 15:06

    Grausam was da passiert - man kriegt Gänsehaut beim lesen......
    Aber auch in der Kirche und in den Heimen gibt es so viele Verbrechen, die vertuscht wurden und immer noch vertuscht werden....wenn die alle in die Hölle kommen, dann wirds oben leer..............
    LG Sonja
  • Lila 15/06/2021 14:00

    das muss auch mal angesprochen werde !!!!!!!
    L.G. Lila
  • Caroluspiel 15/06/2021 11:26

    Welch eine Geschichte.
    Das Kinderporträt ist sehr gelungen.
    ciao Philipp.
  • LouisaZ 15/06/2021 11:14

    Die Kleine ist süß in deinem netten Bild. Soviel zum Foto.
    Dein langer Text ist leider sehr gruselig. Viel könnte man dazu sagen. 
    Irgendwann werden die Künstlichen Intelligenzen das Zepter übernehmen und
    das Gleiche mit den Menschen machen, die so böse Dinge taten.
    Gruß, Sigrid
  • sonnenlicht 15/06/2021 10:28

    es ist einfach schrecklich und unglaublich was man Kindern in aller Welt antut:
    vG
  • Manfred Zöberer 15/06/2021 10:06

    Der Mensch mit seinem Neid und seinem Hass und seiner unendlichen Dummheit wird sich selbst entsorgen
    LG Manfred
    • LouisaZ 15/06/2021 10:56

      Genau das glaube ich auch, Manfred. Und ich bin froh, in einem Alter zu sein, da ich das alles nicht mehr mitbekommen werde. Dauert ja auch noch ein bisschen. ;-)) Beste Grüße aus Berlin, Sigrid
  • Bruder J. 15/06/2021 9:34

    ...und das alles nur zu unserem besten !