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Platte 3

Ginger White: Geglücktes Ende

Damals, es ist wohl 35 Jahre her, ich war in einer anderen biografischen Lage damals, ich durchlebte eine ganz andere Phase: Anfangs lebte ich in den Städten. Dort fiel viel ab. Doch es war dort laut, schmutzig und gefährlich.

Schon bald kam ich in die Phase Grün: Sprang in Maschen auf einen Güterzug auf, der gerade durch Hin- und Her-Rangieren um und zusammengestellt wurde: Lissabon-Warschau.
Bald schon, es mag 48 Stunden gedauert haben oder mehr - ich hatte damals Zeit und maß sie nicht mehr, bald fuhr der Zug langsam durch eine Landschaft aus Wiesen, Wäldchen und relativ verlassenen Siedlungen, Bauernhöfen und Dörfern.
Ich sprang ab und blieb, verweilte Monate.
Ich hatte einen Lieblingsplatz. Hier ein Foto davon - wie dieses Foto enstand? - abwarten, ich erzähle es gleich.
Ich hatte einen Lieblingsplatz, ein Gatter vor einer riesigen Kuh-Weide, Milch-Kuhweide. Das letzte Melken war wohl so um 21 Uhr, das nächste um 5 Uhr. Vor dem Gatter standen (frag´ mich nicht warum) 20 Milchkannen aus verzinktem Eisen, jeweils 35 Liter, leer und auf dem Kopf, zum Trocknen - auf einem Podest von 2 mal 3 Metern aus Holz. Ich räumte sie dann danach herunter und schon hatte ich einen wunderbaren Schlafplatz, er war sogar überdacht und von einer Seite zu mit Brettern vernagelt. Eine derartige Örtlichkeit zum Platte machen hatte es in den Metropolen nie gegeben. Ich war auf dem Land, an einem undefinierten Ort, weit und breit kein Haus, nur die 300 Milchkühe. Sie liefen vertraut über die Weide, die Nacht kam und mit ihr die Sterne - ich habe nie wieder die Sterne so sehen und idenfizieren können.
Ab 4 Uhr kamen die Milchkühe an das Tor, sie warteten sehnlichst auf die Melker. Sie weckten mich sanft. Ich baute dann alle Kannen wieder wie vorher auf, packte meine Sachen, molk noch meine Lieblingskuh per Hand in mein Essgeschirr und zog in das nächste Wäldchen und schlief in der wärmenden aufgehenden Sonne noch ein/zwei Stunden. Tagsüber las ich viel.
Nach zwei Jahren verließ ich diesen Ort der offenbarenden Einsamkeit. Ich schaffte es zu Fuß in 4 Monaten zurück bis Berlin und machte dort mein Glück.
Inzwischen bin ich reich.

Vorgestern stieg ich in meinen Jaguar und fuhr wieder die Strecke und suchte entlang der Bahnlinie Lissabon-Warschau systematisch nach dieser Gegend. Ich fuhr ohne Personal, saß selber am Steuer und hatte den Kühlschrank der ausgebauten Limousine vorher vollstellen lassen: Eiskalter Sekt, Räucherfisch und drei Sorten Kartoffelsalat und die englische Tee-Maschine, die mit Radio weckte. Ich schlief zwei Nächte im Wagen und hatte dann die Stelle gefunden. Ich war mir sicher. Ich erkannte sie an diesem Schloss.
Doch hier war nichts mehr wie damals.
Nur noch leere Wiesen, kleine Wäldchen, ein paar zerfallene unbewohnte Häuser und - ja, und dieses alte Schloss, mein Schloss.
Ich habe es inzwischen von einer meiner Gärtnerinnen im Park meiner Zevener Villa originalgetreu wieder aufbauen lassen.
So manche Nacht schlafe ich vor ihm, auf Daunen-Isomatte und unter freiem Himmel und ich sehe die Sterne aber ich vermisse die Kühe. Sie waren damals meine einzigen Freunde.


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siehe aus der Metropolen-Phase vorher:

Platte machen
Platte machen
† werner weis

Comments 21

  • Clara Hase 07/02/2014 0:12

    mei werner, hier gingen sie aber mit dir durch
    schlafen unter freiem himmel, das ist wirklich etwas -
    allerdings sone kuhzunge im gesicht, die nüstern vor dem auge - ich wäre schreiend davongelaufen..

    aber in der tat - so standen diese kannen - wie auf einer art bock - gefüllt aber, und dann kam dermilchwagen und lud die kannen auf undwackelte zur molkerei - so etwas habe ich auch noch nciht wieder gesehen - sehr wohl geschlossene molkereien, steigende milchpreise. und milch wurde zum sonderexemplar ernährungstechnisch ausgereiften labs oder auch ohne.
    die zeiten haben sich gewandelt.
    porsche - nein danke - dasauto muss auch grün sein. es reichtmir auch, wenn ich gut gekühlt bin
  • Gert Rehn 14/12/2010 8:50

    Ich glaube in deiner Geschichte stimmt die erste Hälfte und von der zweiten der Kartoffelsalat. Sei froh, dass du kein Schloss und jagu hast, die Unkosten sind zu hoch selbst für Gutverdiener.
    Aber eine poetische Kostbarkeit, die anfangen sollte: es war einmal ein junger Abenteurer, der floh in die Natur. Die kühe halfen ihm zu überleben...
    LG Gert
  • taradi 27/08/2010 22:15

    Hallo Werner, spät aber doch bin ich jetzt durch Deine Bildbeiträge zu diesem Bildauf Dein Bild mit der darunter stehenden Geschichte Aufmerksam geworden.. so hat es sich doch gelohnt Dir die Geschichte von Dagmar Hommes zukommen zu lassen.

    Durch solche Beiträge werden unscheinbare Bilder plötzlich zu einem wertvollen Dokument der Vergangenheit... viel Gesundheit ohne Schmerzen wünscht _taradi_

  • Elsbeth Feustel 06/06/2010 17:15

    Lieber Werner,
    Sieh an, vor einem Jahr uns zwei Tagen erschien diese, deine fotografische und dokumentarische fantastische (fantasievolle) Biografie...nun durfte ich dich in deiner Zevener Villa besuchen und deine beiden Schösser fotografieren...
    ...ein Wort, ein Bild und doch nicht das gleiche...
    ...ein Wort, ein Bild und doch nicht das gleiche...
    Elsbeth Feustel

    HG Elsbeth
  • SLOW-WHITE 10/06/2009 11:53

    Tja, was soll ich dazu sagen.Bin einfach platt.Und wenn wahrscheinlich auch nur die Hälfte stimmt, es ist ...
    Ich weiß nicht.
    Sagen wir mal: berührt mich doch sehr.Da bei mir drinnen.
    Wolfgang
  • Wolfgang Weninger 05/06/2009 20:28

    ich kann mir schon vorstellen, dass du dich an so einem Platz mit den Kühen getroffen hast ..
    Servus, Wolfgang
  • Heinz Schikora 05/06/2009 20:27

    So kann nur ein Musikus und Poet seine Geschichten erzählen.

    "Klasse"

    Gruß, Heinz
  • † werner weis 05/06/2009 18:06

    ich bin den Therapieweg alleine gegangen.... so geht`s mir heute....
  • † werner weis 05/06/2009 16:52

    Rolf, Dein Text ist stark, wunderbar und dringt zum Wesentlichen vor - prägnant und definitiv schätzt Du hier schnell und zutreffend ein - Danke
  • Rolf Gleitsmann 05/06/2009 16:40

    Das Wunschdenken eines Städters. Alles in diese Erzählung gepackt. Interessant illustriert, die Waghalsigkeit eines Landstreichers wurde mit einem Luxusauto belohnt. Was für ein Werdegang, es erinnert mich an einen Tellerwäscher.
    Aber dann dieses verrostete Schloss mit dem verhassten Stacheldraht. Beides zeigt die Grenzen auf, es war wohl doch nur ein Traum. Gruß Rolf


  • Norbert REN 05/06/2009 12:17

    Das ist ein Parabel auf so manches heute.
    Synthetisch lässt sich ein Gefühl aus der Vergangenheit jedenfalls nicht zurückbringen .
    LG. Norbert
  • Watndat 05/06/2009 11:27

    Hallo Werner
    Tolle Geschichte...Ja die Weltanschauung ist sehr verschieden..
    Habe auch einige Nächte draussen übernachtet...
    Nur wegen der schönen Sicht auf Sterne zu haben..
    Abseits von Streulicht und die Chance ,dass zu sehen was Andere verschlossen .
    Und natürlich,was ich sehr vermisst habe..
    Das Gefühl der Freiheit...
  • AliceWonderland 05/06/2009 6:57

    Eine interessante, berührende Geschichte mit einem sehr symbolischen Foto dazu.
    LG Alice
  • Adrena Lin 04/06/2009 22:56

    Dank Dir für diese Geschichte......
    Lieben Gruß
    Andrea