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Abgesang

Eine Kerze für die letzten Tage meiner Sandalen.
Größe 42 von ecco, gekauft in der Schlossstraße Berlin-Steglitz, genutzt seit 2004, getragen auf Händen, getragen voranschreitend an Füßen, geliebt und verehrt. Nun scheint das Ende nahe. Die rechte Sandale gibt mir keinen Halt mehr, die linke Sandale verweigert mir die feste Verbindung mit der Ferse. Ich habe mir das schon lange mitangesehen. Und meine Skepsis hat sich von Monat zu Monat entfaltet, ob die Sandalen ihre große Weigerung wieder aufgeben, mich zu begleiten. Ich kann ihnen eigentlich nicht böse sein. Sie trugen mich sicher durch Kathmandu und um den See bei Pokhara, leisteten mir erholsame Dienste in den alpinen Hütten des „Rosengartens“ (nach bräsigen Bergstiefeln), wir wanderten gemeinsam über unzählige Pflaster unzähliger Städte von Oslo bis Porto und von Mostar bis Tallin, begegneten zuweilen Stinkstiefeln, die wir bravourös missachteten, stiegen hinab in die Weinkeller von Tokaji und in die von St-Preuil, standen unschlüssig vor der Blauen Moschee in Istanbul, als wir uns trennen mussten vor dem Betreten des Gotteshauses, wir bestritten den Jakobsweg von Genf bis Santiago, zuweilen am Rucksack baumelnd aber immer dienten sie gegen Abend in den Herbergen meinen Füßen als Labsal und Heilung, und endlich, nicht zu vergessen, ihre wohlwollende Treue des Winters, wenn sie geduldig im Schuhfach der Flurkommode Weihnachten und Neujahr überstanden und es nicht erwarten konnten, endlich in den ersten warmen Frühlingstagen zu neuerlicher Ehre zu kommen. Für diese alljährliche Bereitschaft bin ich ihnen dankbar, ja, habe mich in ihre Treue regelrecht verliebt, sodass auch mein Herz und meine Füße in einer überschäumenden Gemütsbewegung ihrer ansichtig wurden nach der Entstaubung aus dem Schubfach. Sie haben mir gedient in guten wie in schlechten Zeiten, bei jedem Wetter und jedem Wege. Ich bekenne auch mein Bedauern, ihnen nicht immer die ihnen zukommende Pflege ernstgenommen zu haben. Des weiteren will ich im Lichte ihres verblassten Glanzes einräumen, sie zuweilen zur Unzeit getragen zu haben, sodass sie stöhnten und sich einen besseren Träger wünschten. Letztlich aber fügten sie sich generös meinen Kommandos. Ihr heutiger prekärer Zustand ist einzig der Zeit geschuldet, die wir zusammen verbrachten. Hätte ich sie nur gekauft und ungetragen über die Jahre gerettet, wären sie zwar unversehrt, aber ihre Klagelieder über den Sinn ihres Daseins würden mich noch im Schlaf verfolgen. Nun, da auch ich in die Jahre gekommen bin und sich erste Schwierigkeiten beim Schuhanziehen einstellen, werde ich bei einer Neuanschaffung, die mir bereits das Herz schon bei dem Gedanken zu brechen droht, darauf achten, nur Klettverschluss-Sandalen zu erwerben. Das musste ich meinen alten Wegbegleitern, dem Rechten wie dem Linken, in die Sohle versprechen. Adieu, ihr beiden. Ich werde Euch in facebook auf ewig ins rechte Licht rücken.

Comments 2

  • Th. Maess 29/09/2016 21:02

    Liebe Anette, ich habe sie heute an meinem Lieblingsplatz an der Adria an einen Baum genagelt. Und dort werde ich sehe, ob sie nächstes Jahr noch hängen... Gruß Thomas
  • Annette He 29/09/2016 20:25

    Eine Ode an die Sandale, das ist neu. Und herzergreifend. Sie könnten bestimmt mitreißende Geschichten erzählen. Du kannst ja stellvertretend für sie ein Buch ihrer Geschichte veröffentlichen. Ich kann Dich zu gut verstehen, habe auch Schuhe, die in diese Kategorie fallen, ich kann mich auch nicht von ihnen trennen. Such ihnen also einen Ehrenplatz, nicht auf Facebook, sondern im richtigen Leben, da wo Du sie immer wieder siehst und an die Erlebnisse mit ihnen gemeinsam zurückdenken kannst.

    Gruß,
    Annette

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Exif

Camera ILCE-6300
Lens E 16-70mm F4 ZA OSS
Aperture 4
Exposure time 1/320
Focus length 32.0 mm
ISO 100

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