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Mamma Lucia (Teil 2)

Mamma Lucia (Teil 2)

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die Maike


Premium (Pro), aus analogen Beweggründen

Mamma Lucia (Teil 2)

[ Neapel ]


Bild: ich
Krimi: Der Dicke
:-)


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Teil 2

Luigi freute sich. Nie war er glücklicher, einen Verbrecher wie Vito zu sehen, als an diesem Tag.

Er war es leid, jeden Abend stundenlang die von den Karotten gelb gefärbten Finger zu schrubben und den allgegenwärtigen Knoblauchgeruch los zu bekommen. Auch die Schlepperei der Kisten war ihm die letzten Jahre zu schwer geworden. Und als Neapolitaner, der der ehrenwerten Gesellschaft angehört hatte, kann man es sich nicht erlauben, mit einem Gabelstapler Kisten zu heben.

Die jungen Burschen hatten einfach keinen Respekt mehr vor den Alten. Damals war das kein Problem. Da konnte er sich gar nicht retten vor den vielen Eltern, die ihren Spross bei ihm, Luigi dem Betonschuhmacher, in die Lehre schicken wollten. Natürlich nur für die Ehre. Ohne dass er dafür auch nur eine Lira hätte zahlen müssen. Aber so war es einfach. Die Welt war schlecht geworden, seit die Familie ihren Stellenwert verloren hatte.

Kurz nach dem Treffen mit Vito hat sich Luigi um eine Horde japanischer Touristen kümmern müssen. Seit diese Touristenidioten auf die Idee gekommen sind, die berühmten und teils berüchtigten Stätten der Camorra in die Reiseführer aufzunehmen, konnte er sich nicht mehr retten vor dieser Fotoknipserbrut. Dabei weiß doch jeder, dass die Camorra wieder im Kommen ist und die Seitengassen der Stadt für Touristen, na ja, sagen wir mal abenteuerlich werden können. Doch alle wollten nur ihn und seinen Laden knipsen. Aber kaufen wollte keiner mehr so recht. Selbst die Neapolitaner machten sich wegen der Japaner vor und in seinem Laden über ihn lustig.

Das und die unsägliche Einführung des Euros zusammen mit dem schwindenden Einfluss der Familie haben seinen Laden an den Rand des Ruins getrieben.
Das fehlende Geld hatte inzwischen auch Auswirkungen auf seine eigene, heilige Familie.

Mama Lucia, wie er seine Donna liebevoll nannte, saß schon seit Wochen nur noch griesgrämig schauend vor dem Laden und verfluchte still die Touristen mit den teueren Kameras.

Lucia Bertolli war eine stolze Sizilianerin im gesegneten Alter von 55 Jahren. Eigentlich war sie damals viel zu jung für den zwölf Jahre älteren Luigi. Aber bei einer „Dienstreise“ in den Sechzigern hatte sich Luigi in die damals siebzehnjährige Lucia verliebt.
Ihr Vater, Augusto Morratti, besaß am Fuße des Ätna einen kleinen Olivenhain, der nicht zum leben und nicht zum sterben reichte. Ihre Mutter Giovanna hielt noch ein paar Ziegen, deren Milch sie zum weit und breit besten Käse verarbeitete. Auf dem Wochenmarkt in Palermo verdiente sie damit ein Zubrot für die spärliche Vorratskammer der Morrattis.

Luigi erinnerte sich noch, als wäre es gestern, wie er bei Alfredo um die Hand seiner Tochter angehalten hatte. Die Narben der Schrotkörner, die im Alfredo daraufhin mit der Flinte ins Hinterteil schoss, schmerzen heute noch, wenn sich das Wetter ändert.
Alfredo war ein stolzer Sizilianer. Da konnte es nicht angehen, dass ein dahergelaufener Neapolitaner seine Tochter stehlen würde. Luigi war diese Erkenntnis erst nach der Behandlung im Krankenhaus Santa Croce in Palermo klar geworden.
Luigi war in seinem Kummer und mit frisch verbundenem Hintern bei Don Alfredo aufgetaucht und hatte sein Leid geklagt. Don Alfredo hatte volles Verständnis. Schließlich hatte er sich damals bei seinem Heiratsantrag einen Knüppelhieb des Vaters der Braut eingefangen, der ihm vier Wochen Intensivstation und eine Metallplatte im Kopf eingebracht hat, die bei Gewitter Radio Vatikan in seinem Kopf abspielte.
Luigi weiß bis heute nicht, was Don Alfredo mit Augusto besprach. Aber Luigi bekam seine Lucia. Und Augusto hatte plötzlich die Möglichkeit, seinen Olivenhain zu vergrößern, und Giovanna lief plötzlich eine Herde Ziegen zu.

Noch immer, nach über vierzig Jahren, war Luigi glücklich mit seiner Frau. Sehr sogar. Mehr oder weniger. Auch wenn er ihr mindestens einmal am Tag den Hals umdrehen möchte.

Lucia hatte die Eigenart, andauernd und laut mit ihm zu schimpfen. Wegen des Wetters, wegen der Touristen und manchmal sogar wegen der Politiker in Rom. Er wusste zwar nie, um was es eigentlich genau ging, weil Lucia nicht nur laut, sondern auch noch viel und schnell redete, aber er war an Allem Schuld.
So auch an diesem Tag. Luigi erzählte ihr, dass Vito da war und er wieder Aufträge bekommen würde. Da rastete Lucia wieder mal aus, schon das dritte oder vierte Mal an diesem noch jungen Tag und warnte ihn, dass er sie noch ins Grab bringen würde mit seinen Geschichten. Schon in diesem Moment dachte Luigi, dass es nicht seine Geschichten sein würden, sondern seine eigenen Hände, die sie ins Grab bringen würden. Das oder ein Paar Schuhe aus seiner Werkstatt. Doch sie hielt ihr Mundwerk einfach nicht. Luigi schloss die Augen und begann sich vorzustellen, wie seine Hände ihren Hals langsam zusammenzudrückten bis sie blau anlief. Doch er überlegte es sich anders. Wie jedes mal, wenn ihn diese Vorstellung übermannte. Denn Lucia war die Tochter des Alfredo Morratti, das vergaß er nie. Und damit konnte sie nicht nur meisterlich mit der Flinte umgehen, sondern sie schwang auch gekonnt die gusseiserne Bratpfanne, die gewissenhaft und jedes beliebige Ziel seines Kopfes treffen und seinen gesamten verdammten Sturschädel mit tödlicher Sicherheit und nur einem Schlag zertrümmern konnte.

Also ging Luigi wieder nach draußen vor seinen Laden, während Lucia noch in der Küche herumkeifte, mit Töpfen und Pfannen polterte und fluchte, wie es nur Sizilianer können.

Luigi setzte sich leise die Melodie des Gefangenenchors aus Nabucco summend an den kleinen Tisch der an der Hauswand seines Ladens stand, schenkte sich einen Grappa ein und beobachtete das Leben in der Gasse. Zwanzig Minuten und eine Japanergruppe später kam Lucia böse schauend aus dem Haus und setzte ihm einen großen Teller seiner Lieblingspasta vor. Als sie wieder ins Haus ging, zögerte sie kurz, setzte ihm einen Kuss auf die inzwischen unbehaarte Stirn und ging lächelnd in die Küche zurück. Sie liebte ihn noch immer, den alten Zauderer mit dem Sieb als Hintern. Und irgendwie freute sie sich auf die nun wieder kommenden Zeiten, in denen sie mit ihm zusammen an der Betonmischmaschine stehend ‚O sole mio’ singend die Leichenbeschwerer für die Familie gießen würde.

‚Verrücktes Weib, aber kochen kann sie wie keine sonst …’, dachte er leise lachend und streute sich tonnenweise Parmigiano auf die dampfenden Nudeln.

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