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"Dann kriegt Dein Kind halt nen neuen Vater oder gar keinen, is uns doch wurst!"

"Dann kriegt Dein Kind halt nen neuen Vater oder gar keinen, is uns doch wurst!"

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"Dann kriegt Dein Kind halt nen neuen Vater oder gar keinen, is uns doch wurst!"

Vorstellung der Bewohner des Gnadenackers, den die Stadt München räumen lassen will, weil er die schöne Bundesgartenschau stört. Die Obdachlosen dürfen sich dann ihre Bauwagen für 500E/Stück aus der KFZ-Verwahrstelle abholen.
Dabei ist der Acker Privatgelände und ordnungsgemäß gepachtet! Aber die Nutzung widerspricht dem Baurecht, also sollen die Leute (die hier seit 1996 sehr gut organisiert unter einem gemeinnützigen Verein in Selbstverwaltung leben) weg.
Mehr Infos unter diesem Bild:



Bitte helft den Menschen.
Wir brauchen jede Hilfe, jede Idee und eine Kleinigkeit könnt ihr vielleicht jetzt schon machen:
Geht auf http://www.dieameise-ev.de/ und tragt euch ins Gästebuch ein. Zeigt den Bewohnern, dass sie nicht alleine sind! Danke...


Interview mit \"Jesus\"
Peter und ich sitzen im kleinen offenen Grillhäuschen. Es ist Abend, ein paar Bewohner trudeln von der Arbeit ein und einige räumen noch das Brennholz das Udo gesägt hat in die Wagen. Im Hintergrund höre ich das asthmatische Keuchen des Dieselaggregats, dass sich heute richtig Mühe geben muss, um die Kolonie mit Strom zu versorgen. Wir reden und ich habe den Eindruck, dass er das erste Mal an diesem Tag ein klein wenig zur Ruhe kommt.

S: Du hast hier als 1. Vorstand des Vereins ja eigentlich einen harten Managerjob. Wo kommst Du her und was hast Du eigentlich gelernt?
„Ich komme ursprünglich aus Berchtesgaden und hab dort Koch gelernt. Das Hotel meiner Eltern hab ich dort 3 Jahre geführt. Ich war verheiratet und habe aus dieser Ehe auch einen Sohn: Bastian.
Nach der Trennung meiner Frau hatte ich 2 Nervenzusammenbrüche, das war 93. Das war dann auch das Aus als Koch.“
S: Du hast gekündigt?
„Ja, ich bin zu meinem Chef hab gekündigt und er hat mich gefragt was ich jetzt machen werde und ich hab gesagt „Das weiss ich nicht, ich gehe auf die Straße.“
Das war der Abschluss vom normalen Leben – ich hab alle meine Sache ins Auto gepackt, das auf einem Parkplatz abgestellt und meine Frau hat das dann später mitgenommen.
Dann habe ich mich auf eine Bank gesetzt und mein Leben Gott übergeben.“
S: Das ist dann vermutlich jetzt der ideale Zeitpunkt um kurz zu erklären warum Du „Jesus“ (engl.) gerufen wirst
(lacht)“ Ja, ich hab mich viel mit der Bibel beschäftigt und daher haben mir Straßenpunks diesen Spitznamen gegeben.“
S: Ok, dann lass uns wieder an die Geschichte anknüpfen: Du hast ab diesem Zeitpunkt auf der Straße gelebt...
„Genau, aber die Geschichte beginnt schon früher.
Mein Bruder und ich haben schon sehr früh versucht Menschen zu helfen die drogensüchtig waren und haben mit dieser Arbeit unter anderem geholfen einen lokalen Drogenring auffliegen zu lassen.
Mein Bruder ist gestorben als er 20 war. Als ich auf der Straße lebte, habe ich mich an diese gemeinsamen Erlebnisse erinnert und beschlossen: Das will ich wieder tun. Ich habe damals in einer Wohnung mit 20 Drogensüchtigen gewohnt und versucht denen zu helfen.
In dieser Zeit ist mir klar geworden: Die meisten Leute nehmen nur Drogen zum abhängen und aus Langeweile.
1994 haben wir dann einen Technoclub gegründet mit dem Motto „Techno ist nicht gleich Drogen“. In kürzester Zeit hatten wir 100 Mitglieder.
Mit ein paar von diesen Leuten habe ich dann 1996 den Verein „Die Ameise e.V.“ gegründet.
1997 habe ich die ganzen Projekte dann übergeben und eine Städtetour gemacht: Bonn, Ulm, Stuttgart, Hamburg – eigentlich alle größeren Städte ausser Berlin.
Werner rief mich dann an und meinte ich solle doch nach München kommen, also bin ich im Herbst 98 nach München.“
S: Du und Werner, habt ihr zusammen gewohnt?
„Ja, wir wohnten in der Wohnung eines Bekannten. Der hatte es uns auch erlaubt, obdachlose Jugendliche von der Straße unterzubringen und wir hatten in Winter 98/99 über 300 Übernachtungen.
Im Februar 98 bin ich aus diesem Projekt aber ausgestiegen, der Sohn des Bekannten hatte angefangen Drogen zu nehmen und ich wollte diese Verantwortung nicht auf mich nehmen.“
S: Konntest Du in eine Wohnung ziehen oder bist Du zurück auf die Straße?
“Ich bin zusammen mit Punks unter die Großhesseloher Brücke in Grünwald gezogen.
Von den Punks habe ich auch das Überleben auf der Straße und das Betteln gelernt. Das Sozialamt hat mich deswegen wegen Sozialbetrugs angezeigt, aber ich konnte nachweisen, dass ich das ganze erbettelte Geld jeden Tag auf das Vereinskonto eingezahlt hatte.
Auf der Straße traf ich dann später eine Punkerin die auf den Acker gezogen war und mir erlaubte auf ihren Wohnwagen aufzupassen, während sie auf einem Pferdehof arbeitete.
So entstand der Club Gnadenacker.“

Über uns flackert für einen Moment die Lichterkette unterm Dach des Häuschens und der Generator zieht hörbar an. Sofort schnellt ein prüfender Blick von Jesus nach oben, der dann aber einem Lächeln weicht: „Ah, der Xaver kopiert wieder...“.
Die Anspannung fällt wieder etwas von ihm ab, aber trotzdem ruht glimmend in seinen Augen der wachsame Blick den seine Position ihm abfordert.

S: Der ganze Stress den ihr im Moment habt belastet Dich sicher mit am stärksten, wie stehst Du das durch?
„Ja, ich hab viel am Hals derzeit – die Ackerräumung, die Sorge um die Leute hier, die Scheidung von meiner zweiten Frau. Ich hab seit 2 Jahren eigentlich nicht mehr richtig geschlafen. Nachts leg ich mich angezogen ins Bett, damit ich sofort raus kann, wenn einer der Bewohner ein Problem hat und die Nachtglocke läutet.
Viele der Eigenschaften die ich hier brauche habe ich früher beim Bergsteigen gelernt:
Zielorientiert denken, Witterung überwinden und ähnliches.“
S: Du bist ja mit der Arbeit für den Verein voll ausgelastet – was bleibt Dir da noch?
„Hm, ich lebe derzeit nur für den Verein und für meine Tochter Viktoria. Zum Leben selber habe ich 20 Euro im Monat, den Rest zahle ich freiwillig an meine 3 Kinder. Freie Zeit habe ich derzeit eigentlich keine.“
S: Wenn Du in die Zukunft schaust - was wünschst Du Dir für Dich?
„Ich würde gerne eine Frau fürs Leben finden, die mich und meine Arbeit unterstützt. Die Menschen vom Acker sind meine Familie. Das darf nicht zerissen werden. Ich würde dadurch auch den Kontakt zu Viktoria verlieren, da dann keine Besuchsmöglichkeit mehr bestünde.“

Weitere Portraits aus der Serie:

"Lasst den Krüppel doch auf der Straße pennen!"
"Lasst den Krüppel doch auf der Straße pennen!"
Sebastian Unterreitmeier

"Weißt Du, der Acker, das ist nicht mein Zuhause. Der Acker ist meine Heimat..."
"Weißt Du, der Acker, das ist nicht mein Zuhause. Der Acker ist meine Heimat..."
Sebastian Unterreitmeier

Comments 50

  • Rossi Photography 13/04/2005 10:04

    mannomann...
  • Baerbel B. 04/04/2005 22:41

    @ Sebastian: das darf ja wohl nicht wahr sein .....:-(((((

    Ja, die sind alle waaahnsinnig sozial......
  • Sebastian Unterreitmeier 04/04/2005 10:06

    danke euch.
    ich hab gestern mit jesus telefoniert, das wird wohl für lange zeit das letzte bild der beiden sein - am 14. wird zwangsgeräumt und jesus hat sich gestern von seiner tochter (welche bei der mutter lebt) auf unbestimmte zeit verabschiedet - bis eine lösung gefunden ist, bzw. er eine feste bleibe hat. da in der mitgliederversammlung alle beschlossen haben auch nach der räumung auf dem acker zu bleiben (zelte), kann das unter umständen bis in den herbst/winter dauern...
  • Alfred Richter 03/04/2005 9:14 Voting comment

    beeindruckend, pro
  • xxx xxx 03/04/2005 9:14 Voting comment

    Contra für die aufdringliche VC-Penetration.
    Das VC ist nicht der richtige Platz für Kampagnen... *nerv*
  • Angela Wolf 03/04/2005 9:14 Voting comment

    pro für bild und sache...!!!
  • Sabin 3 03/04/2005 9:13 Voting comment

    Pro
  • Petra Schmidt 03/04/2005 9:13 Voting comment

    PRO
  • Ayron Ic 03/04/2005 9:13 Voting comment

    ++++
  • Foto Dreams 03/04/2005 9:13 Voting comment

    PRO für ein Bild voller Liebe und PRO für die Rettung des Gnadenackers. Tja das ist München's Doppelmoral. :-(((
  • Sonia Boukaia 03/04/2005 9:13 Voting comment

    erstmal Respekt für das Angagement und Gratulation zu dieser überaus interessanten Reportage!

    Das Bild hier vermittelt sehr viel Intimität, der Blick des Vaters ist voller Liebe und Stolz, das Mädchen schüchtern und distanziert und doch so interessiert...
    Ein Bild mitten aus dem Leben...

    PRO!
  • Monika Eichert und Wolfgang Graser 03/04/2005 9:13 Voting comment

    pro.
    lg, LEna.
  • AnPriWa -Berlin- 03/04/2005 9:13 Voting comment

    PRO
    LG Angelique
  • Heidi Schneider 03/04/2005 9:13 Voting comment

    Ich mag das Engagement und die interessante Arbeit über Obdachlose. Das Bild mag ich weniger, viel weisser Himmel, unruhiger, unscharfer Hintergrund, die beiden Menschen sprechen mich nicht an. Der Titel stösst mich ab.
    Contra Heidi
  • Sebastian Unterreitmeier 03/04/2005 9:13 Voting comment

    danke allen, danke andreas fürs vorschlagen - so sehen es noch mehr leute. prima :)

    judith: hast du in ihre gesichter geschaut?
    enrico: foto und text sind mir bei diesen bildern gleich wichtig.