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† Klaus Ender


Premium (World), Bergen a. Rügen

Die Wurzel...

Dieses Motiv hat mich schon oft zutiefst bewegt. Die Wurzel hängt am Hochufer der sturm-gepeitschten Westküste des Großen Jasmunder Boddens auf der Insel Rügen.
Ringsum waren Bäume abgestürzt und sie hatte nur noch etwas Halt.
Meine Stimmung war ähnlich trostlos - ich hatte gerade die Diagnose erhalten, das unheilbare Parkinson zu haben. Ich sprach mit ihr und fragte mich und sie: "Wer wird wohl länger an diesem Leben hängen Du am Hochufer oder ich - eingebunden in diese Krankheit...?"Der Winter kam und verging - und die Wurzel hing dort noch immer...
Der Frühling kam und sie versorgte mit ihren kahlen Wurzeln die noch vorhandenen Äste. Winter 2004 kam und ich arbeitete an meinem Gedichte-Bildband "Loslassen", der dem Thema Trauer gewidmet war,
als die Nachricht kam, dass meine einzige Tochter im Alter von 44 Jahren verstorben war...
Kurze Zeit später erreichte mich ein Anruf des Rügen-Campus, TV - Medien-Produktion, wo sich ein halbes Dutzend Studenten und Studentinnen auf ihre Prüfung (Regisseur/Kamera/ Ton) vorbereiteten und über mich den Film "Enders Insel" drehen wollten. Ich sagte zu und nach einem meiner Lieblingsstandorte befragt, erwähnte ich die Wurzel.
Ihr hatte ich im Jahr 2003 das nachfolgende Gedicht gewidmet und in meinem ersten gerade erschienenem Poesie-Gedichtband "Ein Samenkorn mit Zuversicht" zwei Seiten eingeräumt.
Nun saß ich am Hochufer, hatte mein Buch in den Händen - und wie mit Petrus abgesprochen - wehte ein starker Sturm über das Land, der die Dramturgie der Verfilmung mitbestimmte. Trotz Windschutz am Mikrofon wurde meine Stimme teilweise "weggefegt" - und ich hatte Mühe, das Gedicht zu Ende zu lesen. Der fertige Film war für mich und alle Beteiligten äußerst beeindruckend - und immer wenn ich in der Gegend fotografiere, führt mein Weg zur Wurzel. Sie lebt noch immer; ist im Herbst Totholz und am Ende des Frühlings ein grünendes Fleckchen Leben.
Inzwischen schrieb ich ihr ein 2. Gedicht, voller Respekt - und Wehmut.
Sollte das Gedicht und die die wahre Geschichte der Wurzel
positiv aufgenommen werden, würde ich in ein paar Tagen Gedicht und BIld Nr. 2 ins Netz stellen. (Sie hat übrigens als "Totgesagte" ihren 10. Geburtstag - 2003 - 2013 und lebt noch immer.)

DIE WURZEL

Den Halt verlor’n, vom Wind verweht,
zu Füßen nur die Leere,
sie weiß, dass es nicht weiter geht,
selbst wenn sie sich noch wehre.

Wohl hundert Jahre stand sie fest
an diesem schönen Fleck,
sie ist der allerletzte Rest,
der Stamm, der ist schon weg.

Sie ist verzagt und voller Gram,
dass nichts mehr ist zu richten,
nun hängt sie den Gedanken nach
hat weiter keine Pflichten.

Ich ruf` ihr zu: “schau mal zurück,
du hattest schönste Zeiten,
nicht jeder hat ein solches Glück,
drum lass dich davon leiten!“

© Klaus Ender Bergen, d. 21. 11. 03

Comments 4

  • mincki 16/10/2014 19:21

    Aufgrund deines Fotos mit dem Blaufilter, habe ich nun dieses Bild geöffnet und bin sehr betroffen.

    So schön und stimmungsvoll dieses Foto auch ist, verleiht die dazugehörige Geschichte eine Melancholie, der man sich nicht entziehen kann.

    Liebe Grüße
    Sabine
  • Uli.S.Photo 30/05/2013 15:56

    ...ich schreibe Dir nicht mehr als das Wort
    "ergreifend",
    denn das "warum" weiß kaum ein anderer besser als Du.
    Herzlich danke... Uli
  • hülya425 30/05/2013 12:46

    text und bild sind super wie alle andere bilder und texte von dir!!
    liebe grüße hülya
  • Froillein Gitte 30/05/2013 12:29

    Mein Gott das ist sehr beeindruckend.....das Foto, die Geschichte der Wurzel und dazu deine eigene. Wo finde ich diese Wurzel auf Rügen ? Bin im August wieder dort, wie jedes Jahr.
    Liebe Grüsse

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